Christian Wück will mehr Reibung im DFB-Team – und bekommt Kritik

Auf den Bundestrainer wartet vor der EM noch viel Arbeit mit seinen unuzfriedenen Fußballerinnen

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.
Treffsicher: Nicole Anyomi (l.) erzielte auch im letzten Saisonspiel gegen Leipzig ein Tor.
Treffsicher: Nicole Anyomi (l.) erzielte auch im letzten Saisonspiel gegen Leipzig ein Tor.

Das Angebot von Niko Arnautis und seinem Trainerteam steht: Die Spielerinnen von Eintracht Frankfurt können sich kommende Woche freiwillig unter Anleitung fit halten. Der VfL Wolfsburg entlässt an diesem Donnerstag alle in den Urlaub und bittet jene Fußballerinnen, die im Juli nicht bei der EM in der Schweiz spielen, am 30. Juni zum Trainingsauftakt. Doublesieger FC Bayern bestreitet nächste Woche noch ein Einladungsturnier: In Estoril kicken acht europäische Topteams für viel Geld im »Sieben gegen sieben«. Drei Vereine, drei Varianten – wenn der Fußball der Frauen noch Verbesserungsbedarf hat, dann auch bei seinem zerrupften Terminplan.

Kein Casting

Wirklich wichtig sind erst wieder die Spiele der DFB-Frauen in der Nations League am 30. Mai gegen die Niederlande und vier Tage später gegen Österreich, wenn mit der Zusammenkunft in Bremen gleichzeitig die EM-Vorbereitung eingeläutet wird. Am kommenden Dienstag benennt Bundestrainer Christian Wück erst mal den Kader für die beiden Länderspiele. Wenn der 51-Jährige eines nicht machen wird, dann ein Casting wie unter Martina Voss-Tecklenburg vor der WM 2023 durchführen. Damals habe die Atmosphäre nicht gestimmt, weil es bis kurz vor der Abreise nach Australien zu einem Hauen und Stechen um die 23 Plätze gekommen sei. Am 12. Juni werde er dann den »finalen Kader« für das Turnier berufen, kündigte Wück an: »Ich bin ein großer Freund von Klarheit.«

Auch jetzt zehrt die Ungewissheit schon an den Nerven, sonst hätte die Frankfurterin Nicole Anyomi nicht mangelnde Kommunikation kritisiert. »Es hat zuletzt kein konkreter und direkter Austausch stattgefunden«, sagte die schnelle Stürmerin, die sich seit Amtsantritt des neuen Bundestrainers zu wenig wertgeschätzt fühlt. In der Hierarchie stehen die Münchnerin Lea Schüler, Selina Cerci aus Hoffenheim und die Leipzigerin Giovanna Hoffmann im Sturmzentrum vor ihr – und daran wird sich für die EM vermutlich nichts ändern.

Braves Team

Dass eine Nationalspielerin nun öffentlich aufmuckt, muss gar nicht verkehrt sein. Zumindest intern hat der Bundestrainer ausgemacht, dass sein DFB-Team noch viel zu brav sei. Bislang sei noch niemand zu spät gekommen – das könne eigentlich gar nicht sein. Als Wück für den DFB noch die U17-Junioren zu EM- und WM-Titel gecoacht hat, merkte er mal nicht ganz so ernst gemeint an, er habe »einige Gangster« in seinem Team. Er meinte damit Spieler, die stets ihre Grenzen austesteten.

Solche Einflüsse fehlen bei den DFB-Frauen. Wück will natürlich nicht, dass seine Fußballerinnen jetzt alle Regeln brechen, aber mehr Reibung hält er nicht für verkehrt. Die hat er jetzt mit der Kritik von Anyomi bekommen. Und eine Grundunzufriedenheit seiner Spielerinnen muss der Bundestrainer auch managen. Sie nervt die lange Warteschleife: Die Bundesliga hat zu früh Schluss gemacht, nach den Länderspielen ist noch mal zwei Wochen frei, ehe am 19. Juni das einzige Trainingslager in Herzogenaurach startet. Von dort geht’s am 30. Juni direkt ins Basiscamp nach Zürich, ehe am 4. Juli in St. Gallen gegen Polen das erste Spiel bei der EM steigt. Wück hält den Vorlauf für ausreichend.

Genie und Wahnsinn

Ob Anyomi all das miterleben wird, ist fraglich. Zwar sammelte sie mit 14 Toren und neun Vorlagen die meisten Scorerpunkte in der Bundesliga. Doch schwankt sie zu oft zwischen Genie und Wahnsinn. Entschlossen kann die 25-Jährige einen Sprint anziehen, zwei, drei Gegenspielerinnen austanzen und den Ball lässig ins Tor schieben. Sie kann aber auch allein aufs Tor zulaufen, wo sie anfängt zu überlegen, auf den Ball tritt und stolpert. Alles zu besichtigen beim 2:0 im letzten Saisonspiel der Eintracht bei RB Leipzig.

Wücks Vorgänger Horst Hrubesch sowie Martina Voss-Tecklenburg schafften es nicht, Anyomis Anlagen fürs Nationalteam zu nutzen. Sie sagt: »Ich kann auch auf der Außenbahn spielen. Es geht darum, dass man mich als Spielerinnentyp kennt und schätzt.« Ihr Vereinstrainer Arnautis kann das bestätigen: Niemand benötige so viel Zuspruch wie Anyomi. In Frankfurt zahlt sie das Vertrauen mit Toren zurück.

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