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Berlin: Mit der Gewalt aufhören
Das Berliner Zentrum für Gewaltprävention bangt um Förderung von Trainings gegen häusliche Gewalt
»Wir werden komplett überrannt. Alle Fälle sind brandheiß, alle Fälle sind dringend«, berichtet Isabella Spiesberger im Gespräch mit »nd«. Spiesberger ist Geschäftsführerin des Berliner Zentrums für Gewaltprävention (BZfG). Menschen, die sich in Beziehungen oder in der Öffentlichkeit gewalttätig verhalten, können dort an Trainings teilnehmen. Doch die Arbeit des BZfG ist in Gefahr.
Die Projekte des BZfG werden sowohl von der Justizverwaltung als auch von der Landeskommission gegen Gewalt finanziert. Die Förderung der Trainings gegen Gewalt im öffentlichen Raum erfolgt durch die Justizverwaltung. Das Budget wurde in der vergangenen Förderperiode von 140 000 Euro auf 70 000 Euro gekürzt. Das, erklärt Spiesberger, hatte zur Folge, dass das BZfG nur eine anstatt drei Gruppen anbieten könne.
Auch die Finanzierung durch die Landeskommission ist ungewiss. Denn die Finanzierung des Projekts gegen häusliche Gewalt läuft Ende September aus. Ziel der Kommission sei, die Finanzierung an eine der Senatsverwaltungen zu übergeben, so Spiesberger. Aber welche, das sei noch nicht geklärt. Die Hoffnung auf eine fließend übergehende Finanzierung halte sie für unrealistisch. Spiesberger geht davon aus, dass die Frage erst mit dem Haushalt 2026 geklärt werden kann.
»In unserer Gruppe haben wir die kurzfristigen, mittel- und langfristigen Folgen von Gewalt besprochen«, erklärt Alexander »nd«. Der Mann, der nicht mit vollem Namen in der Zeitung stehen will, war Klient des BZfG. »Dass ich mir davor keine Gedanken darüber gemacht habe, hat sich dumm angefühlt. Dabei war ich zuvor knapp fünf Jahre in Therapie«, erzählt Alexander.
Er selbst hatte Kontakt mit dem BZfG aufgenommen, nachdem er handgreiflich gegenüber seiner Ex-Partnerin geworden war und sein Bruder den Kontakt mit ihm abgebrochen hatte, weil Alexander ihn geschlagen hatte. »Ich hatte das Gefühl, ich muss da ran«, so Alexander.
Für jemanden wie Alexander, der das Training nutzen möchte, finden zuerst mehrere Einzelgespräche statt. Hier wird laut Spiesberger auf die Biografie des Klienten eingegangen, nach früheren Bindungen und Partnern gefragt, Trennungen und vergangene Konflikte werden angesprochen. Darauf folgt ein wöchentliches Treffen in einer Zehnergruppe.
»Ich habe in mir das Potenzial, gewalttätig zu werden. Und damit muss ich umgehen können«
Alexander
Teilnehmer des Trainings für Gewaltprävention
Alexander war klar, dass er in der Gruppe auch Männern begegnen würde, die versucht haben, ihre Partner*in zu töten. »Das war krass, aber ich habe mich immer auf die Gruppentreffen gefreut«, so Alexander. In der Gruppe betrachteten sie wöchentlich Einzelfälle. »Jeder musste im Verlauf einen Fall vorstellen«, erklärt Alexander. Dabei wurde der Kontext geschildert, der Gruppe der Zeitverlauf erklärt und ein Erregungsdiagram erarbeitet. »Achtsamkeit ist eine wichtige Strategie, die ich durch das Training gelernt habe«, sagt Alexander.
In seinem Privatleben, erklärt Alexander, bemerke er einen Unterschied. Kurz nach dem Ende des Trainings hatte er Freunde bei sich zu Hause. »Meine Ex-Freundin hat einen besseren Tropfen herausgeholt, den ich für besondere Anlässe aufbewahrt habe«, erzählt Alexander. Er habe sie daraufhin total angefahren, woraufhin sie die Fassung verloren habe. Alexander bemerkte in dem Moment wie seine Reaktion die fröhliche Atmosphäre beendet hatte. »Jeder hat bemerkt, was passiert ist. Ich kann jetzt Situationen erkennen und sie frühzeitig abmoderieren. In sich hineinhören können ist wichtig, denn ich habe in mir das Potenzial, gewalttätig zu werden. Und damit muss ich umgehen können«, sagt Alexander.
Spiesberger ist überzeugt von der Notwendigkeit ihrer Arbeit. Mit der Gewalt aufhören könne nur der Täter selbst, so Spiesberger. »Unser Ziel ist es, dass die Klienten für sich selbst Verantwortung übernehmen.« Am Anfang des Trainings falle es vielen Menschen schwer, sich und die eigene Situation zu verstehen. »Gleichzeitig können sie aber die eigenen Muster bei anderen erkennen und so auch Schlussfolgerungen für sich selbst ziehen«, erklärt Spiesberger. Daher wäre die Gruppentherapie auch so effektiv.
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»Fast alle Klienten erklären uns, dass sie selbst in ihrer Kindheit Gewalterfahrungen gemacht haben, und sie selbst niemals so werden wollten«, erzählt Spiesberger. Daher sei die Arbeit des Zentrums mit gewaltbetroffenen Kindern auch so wichtig. Doch diese wurde eingestellt, weil die Landeskomission 40 000 Euro aus dem BZfG-Budget strich.
Wenn Alexander sich vorstellen müsste, dass er und seine Gruppenteilnehmer keinen Zugang zu dem Training gehabt hätten, sagt er: »Das ist keine schöne Vorstellung.« Er denkt, die verschiedenen Formen der Gewalt in der Gesellschaft seien immer noch ein »krass unterbeleuchtetes Thema«. Es fänden viel zu selten Gespräche über Gefühle und Gewalt zwischen Männern statt. Seitdem er seinen Freunden offen gegenüber war, gibt es zwischen ihnen einen verstärkten Austausch. Ihm sei es besonders wichtig anzuerkennen, wie sehr verbale Gewalt ein Dunkelfeld in unserer Gesellschaft ist. »Es ist eigentlich genauso schlimm, aber dafür gibt es kein Bewusstsein«, sagt Alexander. »Besonders in der jetzigen Zeit, wo eine Umpolung in der Politik stattfindet, brauchen wir ein Bewusstsein für Gewalt und Ressourcen, um ihr zu begegnen.«
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