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Abstieg von Holstein Kiel: Holzbein weg
Hat kein’ Zweck! Die schönere Hälfte Schleswig-Holsteins feiert den Abstieg
Großartig ist das Leben als Fußballfan: Alles Unzivilisierte, Kriegerische, Aggromäßige kann man in diese Nebenexistenz hineinstopfen, dann hat die eigentlich ja doch liebe Seele erst mal ein paar Tage Ruh’. Man kann wieder seinem Broterwerb nachgehen, ohne traumverlorene Feuilletonisten auf dem Redaktionsflur anzuschreien oder in der nächsten Kassenschlange Sachen in Brand zu setzen. Andere Leute brauchen Religionen oder Nationen, um ihren Hass zu entfesseln. Ich habe Fußball statt eines Glaubens, und meine Nation ist das schöne Lübeck, das über Jahrhunderte als Haupt der Hanse den Ostseeraum beherrscht hat und darüber recht proper geworden ist, sodass sogar schärfste Theaterkritiker von dort zurückkommen und die Schönheit der Stadt preisen.
Der einzige Schatten, der über der Perle der Ostsee liegt, ist die nie verwundene Schmach: dass die Alliierten nach dem Krieg auf die irre Idee verfielen, eine Ortschaft nördlich von Preetz zur Hauptstadt des neuen Bundeslandes Schleswig-Holstein auszurufen, einen furchtbaren Schandfleck, ein dänisches Fischerdorf, das von Kaiser Wilhelm II. zum Stützpunkt seiner Kriegsmarine hochgejazzt wurde, so ähnlich wie Adolf Hitler die Stadt Wolfsburg für den Autobau gegründet hat.
Dieser Müllhaufen nun ist der Gegenentwurf zu meiner anmutigen, historisch so reichen Heimatstadt; mir selber sind Lübecker bekannt, die aus dienstlichen Gründen regelmäßig dorthin müssen, nördlich von Preetz, und die den Namen der Ortschaft nicht in den Mund nehmen, sondern immer sagen: »Gestern war ich wieder in Kackstadt.« Nun, man könnte die Kloake an der Förde weitestgehend ignorieren als Lübecker, wäre da nicht der Fußball! Seit vielen Jahrzehnten zwingt er uns dazu, unseren ganz und gar wunderbaren VfB Lübeck, den Stolz des Nordens, zu vergleichen mit den »Störchen« aus Kackstadt, die es aus unerfindlichen Gründen neulich hoch bis in die Bundesliga geschafft haben, nur um sich dort bis auf die nach gammligem Kabeljau muffenden Knochen zu blamieren.
Oh wie herrlich, dass es Fußball gibt! Und dass man diese gewisse Toxizität in sich trägt, diese Negativität, die etwas Trauriges wie einen Abstieg nach sportlicher Minderleistung umdrehen kann in einen Triumph, eine Seligkeit! Als die Mannschaft aus Kackstadt kürzlich wieder abstieg, trompetete der dort residierende Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) wahrheitswidrig: Der FC Kriegsmarine habe im Land Schleswig-Holstein eine »Fußballleidenschaft entfacht« (mit der ich in Lübeck allerdings schon vor 50 Jahren aufgewachsen bin, als sie in der sogenannten Landeshauptstadt noch Feldhandball gespielt haben), und er, der gewählte Landeschef, entblödete sich nicht, in Facebook reinzugrölen: »Kein anderer Verein, NUR HOLSTEIN!«
Ich hingegen tat, was ich sonst nie tue, kaufte mir richtig schön mackermäßig eine Zigarre. Holte mir einen Piccolo (Rotkäppchen rosé). Schwoll an vor Stolz. Und feierte im Park. Oh, herrliche Minuten waren das! Quel triomphe! Wie der Franzose vielleicht sagt, und mit ihm natürlich auch der Feuilletonist, dem es so gut geht wie selten und der hier in aller Form und gut durchdacht anmerken darf: Scheiß Holstein Kiel!
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