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Mit dem AKW Brokdorf gegen die Klimakrise
Atomlobby plant »Anschalt-Konferenz« in Berlin und will neun deutsche AKW wieder reaktivieren
Anders als vor der Wahl von der Union lautstark gefordert, will die neue Bundesregierung bis auf Weiteres keine Rückkehr Deutschlands zur Nutzung von Atomenergie prüfen. In den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD hat es der Ausstieg vom Atomausstieg jedenfalls nicht geschafft. Die letzten drei Kernkraftwerke waren vor zwei Jahren vom Netz gegangen.
Gleichwohl lässt die Atomlobby nicht locker. Für den 22. Mai planen der Dortmunder Verein Nuklearia und der US-Thinktank Radiant Energy Group im Berliner Luxushotel de Rome eine »Anschalt-Konferenz« mit internationaler Beteiligung. »Kernkraft für Deutschland – jetzt!«, ist die Einladung überschrieben, und weiter heißt es: »Neun Kernkraftwerke reaktivieren. Wirtschaft retten. Klimaziele erreichen.« Die Energiewende mit dem »Ziel 100 Prozent Erneuerbare« habe Deutschland an den Rand des wirtschaftlichen Abgrunds geführt, erklären die Veranstalter. Schuld daran seien die hohen Energiepreise, die im Wesentlichen zurückgingen auf den Ersatz planbarer, preiswerter Kernkraft durch die wetterabhängigen Energiequellen Wind und Solar, unterstützt durch fossile Gas-Importe.
Nuklearia war vor gut zehn Jahren aus einem Arbeitskreis der Piratenpartei hervorgegangen. Im Internet präsentiert sich der Verein als »menschen- und naturfreundlicher Verein, der dir zuverlässige Informationen über die Kernenergie liefert«. Diese sei »die beste Option, Natur und Klima zu schützen und gleichzeitig unseren Wohlstand zu erhalten«. Kritiker*innen wie die Publizistin Susanne Götze halten das Argument, wegen der Klimakrise müssten weiter Atomkraftwerke eingesetzt werden, indes für vorgeschoben. Sie verweist darauf, dass der Nuklearia-Vorsitzende Rainer Klute als Experte für die AfD bei Anhörungen im Bundestag aufgetreten ist, obwohl die ultrarechte Partei den menschengemachten Klimawandel leugnet. Harsche Kritik an den verharmlosenden Nuklearia-Positionen und den Berechnungen haben auch die Scientists for Future, die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW und Greenpeace geäußert.
Unter den auf der Konferenz angekündigten Redner*innen sind Ex-Familienministerin Kristina Schröder (CDU), Junge-Union-Chef Johannes Winkel, die Technik-Historikerin Anna Veronika Wendland, der Geschäftsführer der Deutschen Kernreaktor-Versicherungsgemeinschaft, Achim Jansen-Terstegen, und der italienische Publizist Luca Roma, der in seinem Heimatland über etliche Social-Media-Kanäle kräftig Stimmung für Atomkraft macht. Auch der Rechtsanwalt Lothar Brandmair, der lange Zeit die Kernenergieabteilung im bayerischen Umweltministerium leitete, und der brasilianische Regisseur Joao Pedro Prado, der 2024 mit seinem Dokumentarfilm »Spaltung« für Aufsehen sorgte, stehen auf der Rednerliste.
Dass die Atomlobby ausgerechnet Brokdorf als Kandidaten für eine Wiederinbetriebnahme nennt, ist als politische Provokation der Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung zu verstehen.
Die Veranstalter der »Anschalt-Konferenz« behaupten, speziell die Atomkraftwerke Brokdorf in Schleswig-Holstein sowie Emsland und Grohnde in Niedersachsen könnten schon innerhalb von ein bis vier Jahren wieder Strom liefern, Sechs weitere Anlagen wären innerhalb von sechs bis acht Jahren wieder betriebsbereit: »Das ist technisch möglich, dabei preiswerter und schneller als ein Neubau.«
Tatsächlich befinden sich alle stillgelegten AKW längst im Rückbau. Zudem haben die deutschen Kraftwerksbetreiber abgewinkt, sie sind an einer Wiederbelebung der Reaktoren nicht interessiert. Die Anlagen seien technisch praktisch nicht mehr reaktivierbar, heißt es etwa beim Energieversorger Preussen-Elektra. Das Unternehmen konzentriere sich auf den Abbau aller seiner acht AKW, der in vollem Gang sei. Große Komponenten des primären Kühlkreislaufs seien demontiert und Systeme stillgesetzt.
Der baden-württembergische Energiekonzern EnBW, der 2023 seine letzte Anlage im Block Neckarwestheim II abschaltete und seitdem zurückbaut, erteilt Wiederinbetriebnahmeplänen ebenfalls eine klare Absage. Das Atomgesetz regele eindeutig, dass mit den deutschen Kernkraftwerken kein Strom mehr produziert werden dürfe. Unabhängig davon würde ein Stopp des laufenden Rückbaus der Kernkraftwerke sehr hohe Kosten verursachen.
Dass die Atomlobby nun ausgerechnet Brokdorf als Kandidaten für eine Wiederinbetriebnahme nennt, ist durchaus als politische Provokation der Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung zu verstehen. Das Atomkraftwerk an der Unterelbe stand wie kein zweites für den durch den Ausstieg leidlich befriedeten Großkonflikt um die Kernkraftnutzung in Deutschland. In den 70er und 80er Jahren lieferten sich Zehntausende Demonstranten mit Polizisten heftige Kämpfe rund um den Brokdorfer Bauzaun. Im Oktober 1986 ging der Meiler als weltweit erster nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl in Betrieb.
Ende 2021 wurde Brokdorf endgültig stillgelegt. Mit einer Aktion am AKW feierten örtliche Anti-Atom-Initiativen und die Organisation Ausgestrahlt Mitte April dieses Jahres den zweiten Jahrestag des deutschen Atomausstieges. Vor der Reaktorkuppel des Kraftwerks stellten sie mit meterhohen gelben Buchstaben klar: »Aus bleibt aus!« Betreiber Vattenfall ist derweil am Standort Brokdorf weiterhin aktiv: Er errichtet hier einen leistungsfähigen XXL-Batteriespeicher zur Unterstützung der Energiewende.
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