Denkt an die Namen!

Zum Tod des Dichters Yaak Karsunke

  • Niko Daniel
  • Lesedauer: 4 Min.
Besser neue Fehler machen als alte: Yaak Karsunke, 2002
Besser neue Fehler machen als alte: Yaak Karsunke, 2002

Yaak Karsunke, das war einer dieser Dichter und Schriftsteller, die allein schon mit ihrem Namen hervorstachen, aus der bundesdeutschen Ödnis, die erst 1967/68 von sogenannten jungen Leuten politisch und kulturell belebt wurde. Karsunke war schon knapp vorher am Start, in München Anfang der 60er Jahre, als die Gentrifizierung in Schwabing erfunden wurde, was aber erst mal alle gut fanden, weil sich der triste Adenauerstaat zumindest an den Rändern bewegte.

»Es ist besser, neue Fehler zu machen, als die alten bis zur allgemeinen Bewusstlosigkeit zu konstituieren«, mit diesem Zitat von Karsunke beginnt 1969 »Katzelmacher«, der zweite Spielfilm von Rainer Werner Fassbinder, dem bis heute in Produktivität und künstlerischer Durchschlagskraft unübertroffen gebliebenen Münchner Filmregisseur. Karsunke war mit ihm befreundet und spielte auch in ein paar seiner Filme mit.

Geboren 1934 in Berlin-Pankow als Sohn eines Fabrikdirektors, zog er mit seiner Familie 1949 in den Westteil der Stadt, machte Abitur, studierte ein bisschen Jura und dann Schauspiel. 1964 ging er nach München und gründete dort unter anderem mit Martin Walser und Christian Geissler 1965 die Literaturzeitschrift »Kürbiskern«, gedacht als Forum für Texte aus Ost und West, im antikommunistischen Wirtschaftswunderland eine subversive und kühne Idee. Der Name stammt von Karsunke. Als er ihn äußerte, soll sich Walser laut Friedrich Hitzer fast an seinem Wein verschluckt und ausgerufen haben: »›Kerle! Des isch es – ein harter Kern in einem riesigen Wasserkopf!«

Karsunke, dessen Vorname »Yaak« auf seinen Rufnamen »Jörg« zurückging, obwohl er eigentlich Georg hieß, wurde Sprecher der Ostermarsch-Bewegung für Abrüstung und war bis 1968 Chefredakteur des »Kürbiskern«, als er und Geissler sich mit den anderen überwarfen, weil sie anders als die DKP gegen den sowjetischen Einmarsch in Prag waren, die Zeitschrift aber bis zu ihrer Einstellung 1987 aus dem Osten mitfinanziert wurde. Kaum war die Kommunistische Partei wieder legal, schon hatte sie sich politisch blamiert, auch ein Grund, warum aus ihr hierzulande nie eine ernstzunehmende Kraft geworden ist.

Karsunke zog zurück nach Westberlin, wo bis auf die revoltierenden Studenten an der Universität nichts los war, doch man meinte, es würde eine neue Zeit beginnen. Die Intellektuellen, von den Sozis bis zu den alten und neuen Kommunisten, und die Nachwuchskräfte, darunter FC Delius, Nicolas Born, Hans Christoph Buch und Karsunke, trafen sich in Kneipen und tranken auf kommende Umwälzungen. In Abwendung von der Gruppe 47, bei der auch Karsunke vorstellig geworden war, gab es den Versuch, eine neue links-literarische Vereinigung zu initiieren, die Gruppe »ARSCH«, noch so ein krasser Name, hier gedacht als Abkürzung für »Assoziation revolutionärer Schriftsteller«. Doch nach einem Jahr war schon wieder Schluss. Auch die Revolution ging nicht voran, aber wenn Karsunke in der »Frankfurter Rundschau« einen Gedichtband von Jürgen Theobaldy empfahl, dann verkaufte der gleich 400 Exemplare mehr, so stark war damals der Glaube an das gedruckte Wort.

Er arbeitete für Zeitungen und Rundfunk und seine Frau Ingrid für das »Kursbuch«, in den 70er Jahren für die Linke noch wichtiger als »Konkret«. Er schrieb Prosa und Theaterstücke, auch einen prämierten Kriminalroman über einen gelangweilten Literaturredakteur, der auf einmal erpresst wird (»Toter Mann«, 1989), aber vor allem Gedichte, die bleiben, gerade weil sie von einer untergegangenen Zeit der Neuerfindungen und Selbstermächtigungen handeln. Nach dem Tod von Dizzy Gillespie schrieb er: »ladies and gentlemen: this / was the massey hall quintett / 1953 im mai /the greatest bebop concert ever / mit Charlie ›Bird‹ Parker / John Birks ›Dizzy‹ Gillespie / Bud Powell & Charles Mingus & / hinter dem Schlagzeug Max Roach / still alive spielt jetzt / den letzten chorus blues march / für trommel allein.«

Gillespie starb 1993, Max Roach 2007 und Yaak Karsunke am 13. Mai im Alter von 90 Jahren.

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