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Toxische Verwandlung in der Kläranlage
Aus Waschmittelzusätzen kann ein umstrittenes Totalherbizid entstehen
Das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat schädigt viele nützliche Kleinstlebewesen, die ihrerseits die Nahrung größerer Tiere darstellen. Studien zeigen überdies, dass bereits geringe Konzentrationen des Mittels Missbildungen bei Kaulquappen hervorrufen. Auch beim Menschen kann es toxisch auf das Nervensystem wirken. Die WHO ordnet es als »wahrscheinlich krebserregend« ein. 2023 für weitere zehn Jahre in der EU zugelassen, gehört das Totalherbizid dennoch zu den am häufigsten verwendeten Spritzmitteln der Welt.
So ging man bislang davon aus, dass Glyphosatfunde in Flüssen in erster Linie aus der Landwirtschaft stammen. Kürzlich konnten nun Forscher*innen der Universität Tübingen unter Leitung des Professors Stefan Haderlein nachweisen, dass es offenbar noch eine weitere Quelle dafür gibt: In Kläranlagen reagieren bestimmte Waschmittelzusätze – sogenannte Aminopolyphosphonate – mithilfe von Mangan zu Glyphosat. Dies zeigen umfangreiche Laborversuche, deren Ergebnisse im Fachjournal »Nature Communications« abgedruckt sind.
Reaktion mit dem Klärschlamm
Mangan kommt nahezu überall in der Natur vor – so auch im Klärschlamm. Phosphonate werden vor allem in Flüssigwaschmitteln eingesetzt, um das Wasser zu enthärten und Bleichmittel zu stabilisieren. Anders als zuvor genutzte Additive haften sie sich stark an Oberflächen. Bis zu 80 Prozent verbleibt damit im Klärschlamm. »Aber da Tausende von Tonnen Aminopolyphosphonate pro Jahr eingesetzt werden, genügt der kleine Teil, der im Abwasser verbleibt, um eine bedeutende Fracht auszumachen«, versichert Haderlein.
Wie viel Glyphosat aus Waschmitteln konkret in die Flüsse eingetragen wird, wollen die Wissenschaftler*innen im nächsten Schritt prüfen. Der Grenzwert für das Herbizid liegt im Trinkwasser bei 100 Nanogramm pro Liter.
Aus Sicht des Interessensverbands der Waschmittelindustrie (IKW) besteht »keinerlei Risiko für Mensch und Umwelt«. Sie verweisen auf Aussagen der Leiterin des Lehrstuhls Biotechnologie der Wasseraufbereitung der Technischen Universität in Cottbus, Marion Martienssen. Diese hatte bereits vor einem Jahr im »Deutschlandfunk« ihre Zweifel an einem chemischen Umbau von Waschmittelzusätzen zu Glyphosat geäußert. »Wenn man sich die Publikation mal anschaut, dann reden wir von Konzentrationen in Nanogramm. Das sind Spuren. Die können wir inzwischen nachweisen, aber die haben keinerlei Relevanz für die Umwelt«, sagt sie nun dem »nd«. Auch zerfalle Glyphosat bei Sonnenlicht und sei insgesamt leicht abbaubar.
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Dem widerspricht Haderlein: Vielmehr sei Glyphosat relativ stabil gegenüber UV-Strahlen und werde hauptsächlich von Mikroben im Boden abgebaut. »In der Literatur liegt die Halbwertzeit bei Glyphosat im Boden bei sechs Tagen, bei dem Abbauprodukt AMPA bei 54«, berichtet der Toxikologe Peter Clausing vom Pesticide Action Network (PAN) Deutschland. Fast vollständig verschwunden sei Glyphosat erst nach 19 Tagen, Aminomethylphosphonsäure (AMPA) sogar erst nach einem halben Jahr.
Langlebiges Abbauprodukt
Besonders die Langlebigkeit von AMPA ist problematisch: Das Umweltbundesamt wertet AMPA als »weitaus toxischer als Glyphosat selbst.« Das ebenfalls beim Abbau entstehende Phosphat reichert Gewässer mit Nährstoffen an. Deshalb ist es in Haushaltswaschmitteln EU-weit bereits seit 2013 verboten.
»Spannend an unseren Forschungsergebnis ist auch, wie eine Stoffgruppe, die per se als unverdächtig gilt, durch natürliche Prozesse etwas bilden kann, was man im Wasser nicht haben will«, erklärt Haderlein. »Ebenso wie bei den polyfluorierten Verbindungen hat hier die Beurteilung im Vorfeld versagt.« Der Umweltmineraloge fordert, Chemikalien noch viel genauer zu prüfen, bevor sie zugelassen werden.
Sollte die weitere Forschung ergeben, dass sich in Reaktion mit Mangan bedenkliche Mengen an Glyphosat aus Waschmittelrückständen bilden, stellt sich die Frage nach Alternativen. Die Vorgängersubstanzen EDTA und NTA, die in den USA noch zum Einsatz kommen, wurden hier vom Markt genommen, da sie Schwermetalle mobilisieren. Sicher scheinen derzeit einzig mit bestimmten Siegeln wie Ecogarantie, EcoCert und NCP zertifizierte Ökowaschmittel zu sein. »Im Gegensatz dazu können andere Standards mit geringeren Umweltstandards wie das EU-Ecolabel oder der Blaue Engel nicht gleichermaßen sicherstellen, dass Phosphonate ausgeschlossen sind«, schreibt der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN).
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