Von Impfschäden nichts gewusst

Brandenburgs Gesundheitsministerin Britta Müller (BSW) hört Betroffenen zu und verspricht Unterstützung

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Hausärztin Antonia Stahl spritzt im April 2021 einem Patienten den Corona-Impfstoff Astrazeneca.
Hausärztin Antonia Stahl spritzt im April 2021 einem Patienten den Corona-Impfstoff Astrazeneca.

Der Erzieher Dennis Hehlgans wollte Vorbild sein für die 600 Jugendlichen eines Wohnheims in Kleinmachnow, das er betreute. Er wollte denen die Angst nehmen, die Furcht vor einer Corona-Impfung hatten – und ließ sich selbst impfen. Warum auch nicht? Er sei das glatte Gegenteil eines Impfgegners gewesen. »Ich war ein regelrechter Impf-Fan«, sagt der 42-Jährige.

Schon nach seiner ersten Corona-Impfung verspürte Hehlgans dann aber Schmerzen im linken Bein. Normal wäre gewesen, wenn ihm einen Tag lang der Oberarm wehgetan hätte, in den er die Spritze bekommen hatte. Auch zeitweilig erhöhte Temperatur wäre eine nicht ungewöhnliche Nebenwirkung gewesen. Das hätte Hehlgans verschmerzen können. Seine Schmerzen im Bein waren etwas anderes. Die könnten mit der Impfung jedoch nicht zusammenhängen, überzeugten ihn Ärzte, sich die übliche zweite Impfdosis verabreichen zu lassen.

Hätte Hehlgans von den Folgen gewusst, hätte er es gelassen. Nach der zweiten Impfung habe er nachts die Kontrolle über beide Beine verloren, berichtet der 42-Jährige. Er rief ein Taxi und ließ sich in die Notaufnahme des Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinikums bringen. Nach einiger Zeit wurde er aus dem Krankenhaus entlassen, ohne dass die Mediziner einen Grund für seinen bedenklichen Zustand gefunden hätten, sagt Hehlgans. Seither quälen ihn nach eigen Angaben immer wieder Schmerzen in den Armen und Beinen. Er schwitzt stark, leidet unter Schwindelanfällen, fühlt sich schlapp ...

Am Montag haben sich Hehlgans und vier andere Betroffene in Potsdam mit Brandenburgs Gesundheitsministerin Britta Müller (für BSW) getroffen und ihre Situation geschildert. »Die gesund geimpfte Bevölkerungsmehrheit will nicht wahrhaben, was wir zu leiden haben«, beklagt Hehlgans anschließend bei einem Pressetermin.

In Raum 0033 im Erdgeschoss des Gesundheitsministeriums sitzt neben ihm Claudia Schneider. Ihr Leidensweg begann im Januar 2022 vier Wochen nach ihrer zweiten Corona-Impfung. Sie verspürte Schmerzen, die sie sich nicht erklären konnte. »Ich hatte Muskelkater und Krämpfe, als hätte ich extremen Leistungssport gemacht«, erzählt die 52-Jährige. Es sei ihr gesagt worden, das werde nach zwei bis drei Monaten sicher vergehen. Tatsächlich sei es aber nicht besser, sondern schlimmer geworden. Die Krämpfe halten heute zuweilen mehr als 20 Minuten an. »Das will niemand aushalten müssen«, sagt Schneider.

Sie ist von Beruf Krankenschwester und wollte anfangs selbst nicht glauben, dass die Impfung diese Krämpfe ausgelöst habe. Doch eine andere Ursache sei nie gefunden worden. Schneider betont: »Ich kämpfe hier nicht für mich allein.« Sie kämpfe auch für die vielen Betroffenen, die keinen Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe finden und resigniert aufgeben.

»Sie sind selten, aber es gibt sie: die tragischen Fälle nach einer Corona-Schutzimpfung. Und diese Fälle dürfen wir nicht ignorieren.«

Britta Müller BSW-Gesundheitsministerin

1,7 Millionen Brandenburger haben ab Ende 2020 eine Corona-Impfung erhalten. Bis Ende April 2025 sind beim Landesamt für Soziales und Versorgung 417 Anträge auf Anerkennung eines Corona-Impfschadens eingegangen. Über 316 Anträge wurde bereits entschieden: 286 wurden abgelehnt und 23 an ein zuständiges anderes Bundesland weitergeleitet. Lediglich für sieben Betroffene wurde ein Impfschaden amtlich bestätigt.

In etwa der Hälfte der Fälle wurde gegen die Ablehnung Widerspruch eingelegt. Bei Claudia Schneider füllten sich Aktenordner mit solchen Widersprüchen. Sie ist mittlerweile als schwerbehindert eingestuft und in Rente gegangen. Dass sie krank ist und arbeitsunfähig, ist ihr genauso bestätigt worden wie Dennis Hehlgans. Aber dass es an der Impfung liege, werde bestritten. Schneider hat den Eindruck: »Man wartet darauf, dass es uns nicht mehr gibt.«

Viele Betroffene fänden mit ihren Problemen keine Beachtung, bedauert Gesundheitsministerin Müller. »Immer wieder müssen sie die Erfahrung machen, dass Ärztinnen und Ärzte Schwierigkeiten haben, ihre Symptome richtig einordnen und behandeln zu können. Viele Ärzte – so schildern es Betroffene – sind wegen des unscharfen Krankheitsbildes oft mit ihnen überfordert. Nicht wenige werden auch einfach als ›Spinner‹ abgekanzelt.« Diese Stigmatisierung von Impfgeschädigten müsse aufhören, fordert Müller. »Sie sind selten, aber es gibt sie: die tragischen Fälle nach einer Corona-Schutzimpfung. Und diese Fälle dürfen wir nicht ignorieren.« Die Erfassung von Impfschäden müsse in Deutschland vereinfacht und enttabuisiert werden.

SPD und BSW vereinbarten in ihrem 2024 ausgehandelten Koalitionsvertrag, dass diejenigen »eine angemessene Beachtung und medizinische Betreuung erfahren« sollen, die unter langfristigen Folgen einer Corona-Infektion oder auch einer Corona-Impfung leiden.

Das Gespräch am Montag soll dafür nur der Auftakt gewesen sein. Es werde geprüft, ob das Land Brandenburg die Betroffenen mit Bundesratsinitiativen unterstützen könne, verspricht Ministerin Müller.

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