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Abschiebungen vom BER: Achtmal mit Fesseln in den Flieger
Bericht betrachtet Kindeswohl bei Abschiebungen vom Flughafen Berlin Brandenburg
»Am Morgen des 5. März 2024 wurde eine Mutter mit ihren fünf Kindern, darunter auch Kleinkinder, von der Bundespolizei zur Sammelabschiebung nach Moldau übernommen. Die Familie wurde direkt aus dem Landesamt für Einwanderung Berlin zum Flughafen BER gebracht – ohne Gepäck und ohne den Vater, der bei der Vorsprache nicht anwesend war. Es kam somit zu einer Familientrennung. Da die Frau lediglich 35 Euro bei sich hatte, erhielt sie ein Handgeld von 385 Euro zur Weiterreise im Zielland.«
Diese Situation schildert das Forum Abschiebungsbeobachtung Berlin-Brandenburg (FABB) in seinem Tätigkeitsbericht für das Jahr 2024. Vom Flughafen BER wurden im vergangenen Jahr 2247 Menschen abgeschoben. Ein besonderes Auge auf die Vorgänge bei Abschiebemaßnahmen am Hauptstadt-Flughafen hat die Abschiebungsbeobachterin. Sie wird vom FABB eingesetzt, einem Bündnis aus Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Menschenrechtsorganisationen und den an Abschiebungen beteiligten staatlichen Behörden, um unter anderem auf Missstände bei der Durchführung der Maßnahmen hinzuweisen und zu vermitteln.
In der oben beschriebenen Situation geht es um sogenannte Tischfestnahmen: Die Betroffenen werden zu einem Gespräch in die Räume der Ausländerbehörden geladen und dort ohne Vorwarnung zur Abschiebung festgenommen. Sie haben oftmals nicht die Möglichkeit, ihr Hab und Gut zusammenzupacken, und es kommt dabei wie geschildert auch zu Familientrennungen. »Der Fall beschreibt eine herausfordernde Situation für die Frau, da sie allein mit ihren fünf Kindern und ohne Gepäck abgeschoben wurde«, heißt es im FABB-Bericht.
»Der Fall beschreibt eine herausfordernde Situation für die Frau, da sie allein mit ihren fünf Kindern und ohne Gepäck abgeschoben wurde.«
Forum Abschiebungsbeobachtung Berlin-Brandenburg
Legal ist das Vorgehen der Behörden zwar, doch die unabhängige Nationale Stelle zur Verhütung von Folter sprach diesbezüglich die Empfehlung aus, Tischfestnahmen »nur dann anzuwenden, wenn sie unbedingt erforderlich seien«, so die Abschiebungsbeobachtung. Im Forum ist der Fall diskutiert worden, Vertreter der Evangelischen Kirche und Pro Asyl haben sich für einen Kriterienkatalog zur Anwendung von Tischfestnahmen ausgesprochen und vorgeschlagen, Familien mit Kindern davon auszuschließen. Bislang ohne Erfolg: »Im Forum konnte hierzu keine einheitliche Position gefunden werden.« Im Jahr 2024 dokumentierte die Abschiebungsbeobachtung insgesamt 14 Fälle, in denen »Personen bei der Ausländerbehörde festgenommen und ohne eigenes Gepäck abgeschoben wurden«.
Neben den Tischfestnahmen beschäftigte sich das Forum vor allem mit Fragen des Kindeswohls bei Abschiebungen im Vorjahreszeitraum. Auch diese stellen sich bei der Trennung von Familien. Allgemein gelte es, solche Familientrennungen zu vermeiden. Im vergangenen Jahr wurden dennoch 14 Familientrennungen von der Abschiebungsbeobachterin gemeldet.
In einem Fallbeispiel wurde bei einer Sammelabschiebung nach Moldau eine Familie mit sechs Kindern in der Zuständigkeit des Landes Berlin getrennt. Die Mutter wurde mit zwei Kleinkindern, einem etwas älteren Kind und einem Jugendlichen ohne den Rest der Familie abgeschoben, weil der Vater sowie ein 13-jähriges und ein 10-jähriges Kind bei der Abholung nicht anwesend waren. Die beiden Kinder waren laut Bericht der Abschiebungsbeobachtung zu diesem Zeitpunkt in der Schule. »Das Landesamt für Einwanderung Berlin begründete die Familientrennung damit, dass die vollziehbar ausreisepflichtige Mutter Straftäterin sei.« Die Evangelische Kirche und Pro Asyl kritisierten, dass die Straffälligkeit als alleiniger Grund für eine Trennung herangezogen wurde, und forderten, dass das Kindeswohl Priorität haben müsse.
- Bundesweit fanden 20 084 Abschiebungen statt, davon 16 991 per Flugzeug.
- Die meisten Abschiebungen auf dem Luftweg wurden von Frankfurt am Main aus durchgeführt (6342), gefolgt von Düsseldorf (2815) und dem BER (2247).
- Am BER sind 2024 etwa genauso viele Menschen abgeschoben worden wie 2023. Damals waren es 2121 Personen.
- Vom BER aus wurden 1372 Personen aus Berliner Zuständigkeit abgeschoben, aus Brandenburg waren es 233. Hauptabschiebeziele waren Moldau, Georgien und Serbien.
- Im vergangenen Jahr war am BER eine Abschiebungsbeobachterin in Vollzeit
im Einsatz. - Die Abschiebungsbeobachterin war bei 19 von 33 Sammelabschiebungen per Charterflug zugegen; bei diesen 19 Aktionen wurden zusammen 744 Menschen abgeschoben.
- 29 der 33 Sammelabschiebungen wurden von der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex koordiniert und refinanziert.
- An vier der Frontex-Sammelcharter vom BER waren weitere EU-Länder beteiligt.
- Die Abschiebungsbeobachterin begleitete außerdem 111 Einzel-Abschiebungen, wovon 17 am Flughafen BER abgebrochen und 94 vollzogen wurden. loz
Ein anderes Problem ist laut FABB-Bericht, dass Minderjährige bei Abschiebungen als Sprachmittler*innen fungieren müssen. Eigentlich ist vorgesehen, dass die zuständigen Ausländerbehörden Dolmetscher*innen bereitstellen, um zwischen den Betroffenen und den Vollzugsbeamt*innen zu übersetzen. »Im Bereichszeitraum kam es jedoch vereinzelt zu Fällen, in denen trotz sich im Gebäude befindender Dolmetscher*innen Minderjährige durch die Personenbegleiter*innen zur Kommunikation mit ihren Eltern herangezogen wurden«, so die Abschiebungsbeobachtung.
Die Abschiebungsbeobachterin hat im Jahr 2024 acht Fesselungen durch die Bundespolizei mit einem Body-Cuff genannten Festhaltegurt gemeldet. Ein Fall ereignete sich bei einer Sammelabschiebung nach Aserbaidschan im Februar. Hier wurde eine Frau schon an den Füßen mit Stahlfesseln fixiert aus einer Abschiebehaftanstalt zum Flughafen transportiert. Sie weigerte sich auszusteigen und wurde gegen ihren Willen ins Flughafengebäude gebracht.
Die Frau verlangte, dass ihr Geld zurückgegeben werde, das ihr zuvor als »Sicherheitsleistung« abgenommen wurde. Ganze 2700 Euro behielt die zuständige Ausländerbehörde von der Frau, um die Kosten ihrer eigenen Abschiebung zu finanzieren. »Die Frau verblieb gefesselt im Body-Cuff und wurde mit 200 Euro Eigenmitteln nach Aserbaidschan abgeschoben«, heißt es im FABB-Bericht. »Gesetzlich ist der Einbehalt rechtmäßig«, so das Forum Abschiebungsbeobachtung.
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