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Antisemitismus: Gericht prüft die FU Berlin auf Untätigkeit
Klage gegen Freie Universität wegen Versäumnissen im Kampf gegen Antisemitismus angenommen
Tut die Freie Universität Berlin (FU) genug im Kampf gegen Antisemitismus? Diese Frage wurde am Dienstag vor dem Berliner Verwaltungsgericht verhandelt. Geklagt hat der jüdische Student Lahav Shapira, der im vergangenen Jahr durch einen Angriff auf ihn bekannt wurde. Ein Kommilitone hatte ihm aus antisemitischen Motiven vor einer Kneipe in Mitte ins Gesicht geschlagen und einen Tritt gegen den Kopf nachgesetzt, nachdem Shapira zu Boden gegangen war. Shapira kam mit einer Hirnblutung ins Krankenhaus, der 24-jährige Täter Mustafa A. wurde im April zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Der Übergriff auf ihn sei nur das Ende einer langen Entwicklung gewesen, sagte Shapira nun vor Gericht. »Er ging auf eine Reihe von Veranstaltungen zurück, die die FU zugelassen hat«, erläuterte er. Bei diesen Versammlungen sei zum Mord an Juden und Israelis aufgerufen worden. Nachdem er dagegen protestiert hatte, sei es zu einer Kampagne gegen ihn persönlich gekommen. »Bilder von mir wurden im Internet verbreitet«, sagte Shapira. Kurz darauf sei es zu dem Angriff in Mitte gekommen.
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Unternommen habe die FU dagegen wenig. »Wir jüdischen Studierenden wurden auf uns alleine gestellt«, sagte Shapira. Ihm sei nahegelegt worden, Veranstaltungen zum Selbstschutz nur noch online zu besuchen. »Die Raumfreiheit war nicht mehr gegeben«, so Shapira. Am Ende habe er sich selbst einen Personenschutz organisieren müssen, um die Universität weiter besuchen zu können.
Deswegen habe er nun die FU verklagt. Denn das Berliner Hochschulgesetz sieht seit einer Novelle durch den damaligen rot-grün-roten Senat im Jahr 2021 vor, dass Universitäten verpflichtet sind, Diskriminierungen wegen rassistischen oder antisemitischen Zuschreibungen zu verhindern »und bestehende Diskriminierungen zu beseitigen«. Dieser Pflicht, so Shapira und seine Anwälte, sei die FU nicht nachgekommen.
Kann die FU also für antisemitische Umtriebe in ihren Räumlichkeiten verantwortlich gemacht werden? Der Vorsitzende Richter Edgar Fischer sprach von einer »etwas speziellen Klage«. Es müsse nachgewiesen werden, dass die FU an dieser Stelle Recht gebrochen habe. »Völlig untätig ist die FU ja nicht geblieben«, so Fischer.
Auch die Vertreter der FU verwiesen auf Maßnahmen, die die Hochschule bereits ergriffen habe. So sei eine Ansprechperson für von Antisemitismus Betroffene eingerichtet worden, zudem sei Personal dafür abgestellt worden, antisemitische Plakate und Schmierereien zu entfernen. Die FU-Juristen plädierten daher dafür, dass die Klage abgewiesen werde. »Wir können nur haften, wenn uns gesagt wird, was wir hätten machen müssen«, sagte FU-Vertreter Christian Reichel. Es sei nicht ausreichend dargelegt worden, welches Ziel mit der Klage verfolgt werde.
»Wir jüdischen Studierenden wurden auf uns alleine gestellt.«
Lahav Shapira FU-Student
Eine »fatale Wendung« nannte Shapiras Anwältin, die als Nebenklagevertretung in Verfahren gegen Rechtsterroristen bekanntgewordene Juristin und Linke-Kommunalpolitikerin in Jena, Kristin Pietrzyk, die Argumentation der FU. »Argumentieren Sie ernsthaft, dass Herr Shapira Ihnen hätte sagen müssen, wie Sie handeln sollen?«, fragte sie. Die Pflicht, Strategien gegen antisemitische Gruppen auf dem Campus zu entwickeln, liege bei der FU. Von Shapira könne nicht erwartet werden, dass er konkrete Maßnahmen einfordere.
Die Richterkammer zeigte sich am Ende offen, diese Frage weiter zu verhandeln. Die Klage wurde zugelassen. Im Oktober soll ein weiterer Verhandlungstermin folgen.
Beigetragen zu der Entscheidung habe auch eine Veranstaltung in den Räumen der FU, die für Dienstagabend geplant war. Das ließ der Richter während der Verhandlung durchblicken. Die judenfeindliche Gruppe »Waffen der Kritik« lud unter dem Titel »Wie wir die Intifada globalisieren« in ein studentisches Café. Shapiras Anwältin Pietrzyk verwies auf diese Veranstaltung, um das weiterhin ausbleibende Handeln der FU zu thematisieren. Mit dem Begriff »Intifada« wird in der Regel eine Reihe von Anschlägen auf zivile Ziele in Israel mit über 1000 Todesopfern zu Beginn der Nullerjahre bezeichnet. »Wer die Intifada globalisieren will, erklärt Juden weltweit zu Zielen«, so Pietrzyk.
Ein Urteil in dem Fall könnte auch für andere diskriminierte Gruppen grundlegende Bedeutung haben. Es könnte öffentliche Institutionen berlinweit zu einem aktiveren Handeln gegen Ausgrenzung verpflichten. »Wir hoffen daher, dass von der Klage vor dem Verwaltungsgericht auch ein Zeichen der Ermutigung an Studierende ausgeht«, sagte Heike Kleffner, Geschäftsführerin der Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, der Deutschen Presseagentur.
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