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Gold: Krisenanlage als Risiko
Die EZB warnt vor steigender Nachfrage nach physischem Edelmetall
Die Europäische Zentralbank (EZB) ist nicht für ihren Alarmismus bekannt. Aber als Zentralinstitut der Eurozone ist es auch Aufgabe der Bank, über die finanzielle Stabilität der betreffenden Länder und des ganzen Verbundes zu wachen. Genau in diesen Bereich fällt die Verlautbarung, welche die EZB Mitte Mai als Auskopplung ihres monatlichen Berichts über die Finanzmarktstabilität in Umlauf brachte. Darin geht es um den Goldpreis, geopolitische Unsicherheiten und – das ist das Bemerkenswerte – um »Extremszenarien mit potenziell negativen Auswirkungen auf die Finanzstabilität«.
Konkret sehen die Währungshüter der EU ein Problem in zu großen Summen an europäischen Gold-Derivaten. Das sind Finanzinstrumente, deren Wert sich direkt oder indirekt vom Goldpreis ableitet. Sie ermöglichen es Anlegern, an der Entwicklung des Goldpreises zu partizipieren, ohne physisches Gold besitzen zu müssen. Für gewöhnlich werden die Derivate zur Diversifizierung des Portfolios oder als Absicherung gegen Marktschwankungen genutzt – ohne dass die Nehmer der Schuldverschreibung tatsächlich eine physische Auslieferung anstreben.
Nun haben sich bis März dieses Jahres in der Eurozone Positionen in Gold-Derivaten in Höhe von rund einer Billion Euro angesammelt. Das entspricht bei einem Goldpreis von 3200 US-Dollar je Feinunze dem Dreifachen der weltweiten Jahresproduktion. Seit November 2024 ist diese Summe um rund 58 Prozent gestiegen; etwa 48 Prozent der Derivate werden im außereuropäischen Ausland gehalten. Das macht sie laut EZB anfällig für exogene Schocks. Diese nahmen zuletzt zu, was auch zu einem Anstieg der Nachfrage von Gold insbesondere aufseiten der Zentralbanken geführt hat.
Speziell die Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) und einige weitere füllen ihre Tresore im Bestreben, vom Dollar als weltweiter Leitwährung unabhängiger zu werden. So hat die chinesische Zentralbank allein 2024 mehr als 200 Tonnen des Edelmetalls erworben und auch im laufenden Jahr ihre Reserven weiter aufgestockt. Gleichzeitig hat die Zentralbank der Volksrepublik im Gegensatz dazu ihre Bestände an US-Staatsanleihen reduziert – deren größte Eignerin sie zuvor war. Deutliche Zeichen der fortschreitenden Entflechtung.
Da Gold als Krisenwährung gilt, dürfte dessen Preis bei zunehmenden Verwerfungen weiter steigen. Im Laufe des Jahres ist die Zahl der physisch ausgelieferten Unzen gestiegen. Immer mehr Inhaber von Gold-»Lieferversprechen« lösen diese ein und verkaufen ihre Ansprüche nicht wieder. Nicht auszuschließen ist, dass viele Halter der europäischen Derivate sich diese künftig liefern lassen. Oder besser: liefern lassen wollen. Denn – das ist die Quintessenz der Warnung der EZB – in einem solchen Fall könnte es zu Lieferengpässen kommen.
Die Konsequenzen könnten erheblich sein, auch wenn der Goldmarkt im Vergleich zum Aktienmarkt mit seiner geschätzten Kapitalisierung von 22,71 Billionen Euro eher überschaubar ist. Das ist ein entscheidendes Stichwort: Viele Gold-Derivate werden »over the counter« gehandelt, also nicht über eine Börse oder andere Handelsplätze. Entsprechend weniger transparent ist der Handel. Hinzu kommen sogenannte Hebel, bei denen Positionen mit dem Doppelten oder Dreifachen der Preisbewegung des zugrunde liegenden Rohstoffs steigen oder fallen.
Stark schwankende Preise und Lieferengpässe beim physischen Gold könnten Verwerfungen im Finanzsystem und »potenziell große Verluste« zur Folge haben, wie es die Verantwortlichen der EZB ausdrücken. In der Konsequenz könnte das bis zu Bankenpleiten führen und weitreichende Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben.
Ob es dazu kommt, ist derzeit spekulativ. Die Warnung der EZB deutet aber auf die Ernsthaftigkeit des Problems hin. Und zu guter Letzt ist es möglich – auch das ist rein spekulativ –, dass Akteure außerhalb von Europa die Verpflichtungen der europäischen Banken nutzen, um Verwerfungen an den Finanzmärkten hervorzurufen.
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