- Wirtschaft und Umwelt
- Zahnreport
Füllungen immer haltbarer
Auch Zahnfüllungen ohne Amalgam können zuzahlungsfrei sein
»Er hat überhaupt nicht gebohrt!« Dieser Freudenschrei von Kindern gehört zu den Klassikern der Zahnpasta-Werbung. Hat der Zahnarzt aber doch gebohrt, verpasste er dem Zahn auch eine Füllung. In Sachen Material endete 2024 die Amalgam-Ära. Die quecksilberhaltige Legierung ist für zahnmedizinische Zwecke seit dem 1. Januar in der EU verboten. Mehrere Ersatzmöglichkeiten sind verfügbar, aber wie gut und lange diese dann halten, ist noch nicht zu Ende ausgelotet.
Auch weil die Füllung von desolaten Zähnen eine der häufigsten Behandlungen in der Fachrichtung ist, hat die Krankenkasse Barmer in ihrem neuen Zahn-Report das Thema genauer untersucht. Zunächst gibt es eine gute Nachricht: Zahnfüllungen bleiben in Deutschland immer länger im Mund. Der Fachbegriff hierfür ist die Liegedauer. »Die Hälfte der großen Seitenzahnfüllungen aus dem Jahr 2010 hielt mindestens 6,5 Jahre, während es bei im Jahr 2015 eingesetzten bereits 7,2 Jahre waren«, erläutert Barmer-Vorstand Christoph Straub den Fortschritt.
Nicht nur die Liegedauer ist ein Kriterium für gute Zahnbehandlung, sondern auch, was mit dem Zahn passiert, wenn die Füllung nicht mehr hält oder er aus anderen Gründen erneut behandelt werden muss. Immerhin schon die Hälfte der Füllungen bleibt auch nach zehn Jahren ohne weitere Behandlung. Auch regelmäßige Kontrollen tragen dazu bei. Die nächste Behandlung an den übrigen 50 Prozent der Füllungen waren in der Reihenfolge entweder eine erneute Füllung, eine Zahnentfernung und, etwas seltener, eine Krone, berichtet Michael Walter von der Technischen Universität Dresden. Der Zahnmediziner ist zugleich Autor des Barmer-Zahnreports.
Für den Report wurden wie üblich Routine-Abrechnungsdaten ausgewertet. Dabei zeigten sich große regionale Unterschiede auch bei der Haltbarkeit von Füllungen. So finden sich etwa in Baden-Württemberg nach zehn Jahren noch rund 42 Prozent der großen Seitenzahnfüllungen im Mund, während es in Sachsen-Anhalt nur etwa 18 Prozent sind. Der Bundesschnitt liegt bei etwa 34 Prozent.
Ein Zusammenhang mit dem Maß sozioökonomische Benachteiligung scheint naheliegend. Wer gut verdient, weiß vielleicht mehr über Zahngesundheit und verschiebt weder den Zahnarztbesuch noch eine nötige Behandlung. In der Landkarte zu den unterschiedlichen Haltbarkeiten der Zahnfüllungen nach Bundesländern ist eindeutig immer noch die frühere Teilung Deutschlands in zwei Staaten erkennbar.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Für Walter bildet sich hier auch der Deprivationsindex des Robert-Koch-Instituts (RKI) ab: mit diesem Instrument lassen sich bis auf Ebene der Landkreise wirtschaftliche und soziale Verhältnisse messen und bewerten. Daten für acht Indikatoren kommen von der Agentur für Arbeit, den statistischen Ämtern sowie von Bund und Ländern. Es handelt sich um einen Armutsindex im weiteren Sinne: Unter dem Begriff Deprivation werden von Soziologen Entbehrungen und Einschränkungen zusammengefasst. Diese Daten setzt das RKI in Bezug zu Daten aus dem Gesundheitsmonitoring. So lässt sich erklären, warum Menschen aus wirtschaftlichen Gründen häufiger oder schlimmer krank werden als diejenigen ohne entsprechende Sorgen.
Wenn jetzt aber Zahnärzte ihre Patienten nicht auf zuzahlungsfreie Füllungsvarianten aufmerksam machen, treffen die Konsequenzen eher Menschen mit weniger finanziellen Mitteln. Zum einen ist diese Information wichtig und auch verpflichtend. Zum anderen muss sich erst zeigen, welche von den zuzahlungsfreien Materialien sich am besten bewähren. Damit das aus den Kassendaten ablesbar ist, müsste die Verwendung in den Abrechnungsdaten gekennzeichnet werden. Bis Ende 2024 war eine solche Kennzeichnung von Amalgam in den Kassenabrechnungen Pflicht.
Bei den Amalgam-Nachfolgern die Übersicht zu behalten, ist nicht die einfachste Aufgabe: Es gibt verschiedene Komposite, die sich einerseits nach ihren Bestandteilen unterscheiden (Glas-, Keramik- oder Quarzteilchen), andererseits danach, ob sie selbst am Zahn haften oder geklebt werden müssen. Ein drittes Kriterium ist, bis zu welcher Größe sie sinnvoll einsetzbar sind. Über längere Zeiträume ist ihre Haltbarkeit noch wenig erforscht – umso sinnvoller wäre die genannte Kennzeichnungspflicht.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.