Handball: Das Meisterstück der Füchse Berlin

Mit einem letzten Kraftakt gewinnen die Berliner Handballer ihren ersten Titel in der Bundesliga

  • Christoph Dach
  • Lesedauer: 5 Min.
Meisterlicher Jubel: Die Füchse Berlin feiern den ersten Titelgewinn in der Bundesliga.
Meisterlicher Jubel: Die Füchse Berlin feiern den ersten Titelgewinn in der Bundesliga.

Am Sonntagnachmittag gegen halb vier brauchte es keine Anzeigetafel, um das Ergebnis zu erahnen. Ein Blick ins Gesicht von Stefan Kretzschmar genügte. Der Sportvorstand der Füchse Berlin zappelte auf der Tribüne der Mannheimer Arena extrem angespannt auf seinem Sitzplatz herum und wollte nicht so recht glauben, was sich da gerade vor seinen Augen ereignete.

Operation ohne Betäubung

Die Berliner spielten ihre vielleicht schwächste Halbzeit der Saison. Jenes Team, das in der Bundesliga zuletzt am 16. Dezember 2024 ein Spiel verlor, wirkte fahrig, unkonzentriert, nervös – und drohte auf den letzten Metern die lang ersehnte erste Meisterschaft der Vereinsgeschichte aus der Hand zu geben. Vor 13 000 Zuschauern lagen die Berliner zur Pause mit 17:20 gegen die Rhein-Neckar Löwen zurück. Würden die Füchse, die in den vergangenen Wochen und Monaten über die nationale und internationale Konkurrenz hinweggefegt waren, tatsächlich Nerven zeigen?

»Die ersten 30 Minuten haben sich angefühlt wie eine Operation an den Weisheitszähnen – ohne Betäubung«, sagte Berlins Geschäftsführer Bob Hanning später: »Man hat die Anspannung förmlich gespürt.« Am Ende ist die Operation Titel dann doch noch erfolgreich verlaufen. Dank einer enormen Leistungssteigerung in Halbzeit zwei brachten die Berliner ihren Vorsprung von einem Punkt auf den ärgsten Widersacher SC Magdeburg erfolgreich über die Ziellinie. 38:32 hieß es gegen die Rhein-Neckar Löwen, die vor ausverkaufter Kulisse ihren langjährigen Trainer Sebastian Hinze und Spielmacher Juri Knorr verabschiedeten und sich nicht zuletzt deswegen als maximal widerspenstiger Gegner erwiesen. »Normalerweise müsste in einem Moment wie diesem überschäumende Freude das Grundgefühl sein. Es ist aber eine Mischung aus Genugtuung, Erleichterung und Freude, weil heute unfassbar viel Druck von uns abgefallen ist«, sagte Kretzschmar: »Ich bin extrem stolz auf den Klub, die Mannschaft und darauf, wie sie das heute wieder gelöst hat.«

Offensive als Trumpf

Die Partie am Pfingstsonntag stand sinnbildlich für die gesamte Berliner Saison, weil sie einmal mehr die größten Stärken der Füchse verdeutlichte: unglaubliche Angriffspower, gepaart mit extrem hohem Tempo über 60 Minuten und der Tatsache, dass die Mannschaft auch in kritischen Phasen cool bleibt. Im Schnitt hat das Team von Trainer Jaron Siewert 35,2 Tore pro Spiel erzielt und damit die Binsenweisheit widerlegt, dass die Offensive Spiele gewinnt, die Defensive aber Meisterschaften.

Knapp ein Viertel der 1197 Berliner Treffer ging dabei auf das Konto des alles überragenden Spielers der Saison, Mathias Gidsel. In Mannheim war der dänische Weltmeister mit zehn Treffern erneut bester Berliner Werfer. Wer den Erfolg der Füchse allein auf Gidsel und dessen individuelle Fähigkeiten reduziert, wird den Berlinern allerdings nicht ansatzweise gerecht. Im Verlauf der Saison erbrachten sie regelmäßig den Nachweis, eine über Jahre gewachsene Mannschaft zu sein, die gemeinsam unzählige Drucksituationen überstanden hat und gestärkt daraus hervorgegangen ist.

Die Mischung machts

»Wir haben eine verdammt gute Mischung in der Mannschaft«, meint Kretzschmar. Neben internationalen Spitzenspielern wie Gidsel, Torhüter Dejan Milosavljev, Kapitän Max Darj oder Rückraum-Shooter Lasse Andersson stehen im Kader auch fünf selbst ausgebildete Handballer, die vor zwei Jahren mit dem U21-Nationalteam den WM-Titel gewannen und nun tragende Rollen im Verein einnehmen. Bei keinem anderen deutschen Klub ist die Durchlässigkeit zwischen Nachwuchs- und Profimannschaft so hoch wie bei den Füchsen. Exemplarisch dafür stehen Tim Freihöfer und Nils Lichtlein. Freihöfer bringt es wie Gidsel auf mehr als 200 Saisontore und ist die Entdeckung der Saison auf Linksaußen. Lichtlein schickt sich an, dem besten deutschen Spielgestalter der Gegenwart Konkurrenz zu machen: Nicht wenige Experten sehen in dem 22-Jährigen einen perspektivisch noch besseren Mittelmann als in Knorr.

Passenderweise wird das Ensemble von einem waschechten Berliner orchestriert: Trainer Jaron Siewert trug bereits in der D-Jugend das Trikot der Füchse und ist seit Sonntag der jüngste Meistertrainer in der Geschichte der Bundesliga. »Ich bin heute wirklich komplett leer, weil das Spiel noch einmal alles von uns gefordert hat«, sagte Siewert, der schon beim letzten Heimspiel gegen Gummersbach als »Trainer des Jahres« ausgezeichnet wurde.

Der nächste Titel

Nach der Übergabe der Meisterschale ging es für die Füchse noch am Abend zurück in die Heimat. Zur Feier des Tages hatte Hanning einen Charterflieger organisiert, der die Mannschaft schnellstmöglich nach Berlin brachte. Auf dem Badeschiff an der Spree warteten dann bereits rund 2000 Fans, die das Meisterstück zuvor auf Großbildleinwänden verfolgt hatten. »Wir werden heute richtig hart feiern«, kündigte Kretzschmar an. Am kommenden Wochenende können die Berliner ihre ohnehin historische Saison veredeln: Dann treten sie beim Final Four in Köln an und spielen um den Titel in der Champions League. Gemessen an den Leistungen der vergangenen Monate ist es keine gewagte Prognose, die Füchse zu den Favoriten zu zählen.

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