• Politik
  • Militarisierung der Außenpolitik

SPD-Politiker fordern Abrüstung und Gespräche mit Russland

Ein »Manifest« sorgt für Unruhe im politischen Berlin: Prominente Sozialdemokraten fordern eine sofortige Kehrtwende in der Außenpolitik

  • Lesedauer: 4 Min.
Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich ist Mitunterzeichner des »Manifestes«.
Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich ist Mitunterzeichner des »Manifestes«.

Berlin. Es kann als Angriff auf die schwarz-rote Bundesregierung und auf die eigene Parteiführung um Vizekanzler Lars Klingbeil gelten: Prominente SPD-Politiker fordern kurz vor dem Bundesparteitag in einem »Manifest« eine Abkehr von der Aufrüstungspolitik und direkte diplomatische Gespräche mit Russland. In ihrem Grundsatzpapier, über das zuerst der »Stern« berichtete, dringen die Unterzeichnenden auf eine Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik. Von einer stabilen Friedens- und Sicherheitsordnung sei Europa aktuell weit entfernt, beklagen sie und werben für Deeskalation und schrittweise Vertrauensbildung statt Rüstungswettlauf. Unterzeichnet ist das Papier unter anderem von Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich, Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans, Ex-Bundesfinanzminister Hans Eichel, Außenpolitiker Ralf Stegner sowie Bundestags- und Landtagsabgeordneten. Insgesamt haben es mehr als 100 Personen unterschrieben.

Die Unterzeichner des Manifests fordern, »nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen, auch über eine von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa«. Vor echten vertrauensbildenden Maßnahmen sei bereits eine behutsame Wiederaufnahme diplomatischer Kontakte nötig.

Zugleich wenden sich die Verfasser gegen eine Stationierung neuer US-amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland und gegen die Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf mindestens 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wie sie von mehreren Mitgliedern der Bundesregierung gegenüber der Nato bereits versprochen wurde. Sie beklagen, aktuell werde ein »Zwang zu immer mehr Rüstung und zur Vorbereitung auf einen angeblich drohenden Krieg« beschworen, statt Verteidigungsfähigkeit mit Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik zu verknüpfen. Die Unterzeichner warnen: »Militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme schaffen nicht mehr Sicherheit für Deutschland und Europa, sondern führen zur Destabilisierung und zur Verstärkung der wechselseitigen Bedrohungswahrnehmung zwischen Nato und Russland.«

Politiker anderer Parteien zeigten sich irritiert: »Wann wird begriffen, dass Russland nicht verhandeln und keinen Frieden will«, schrieb der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter auf X. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann betonte: »Wir alle wünschen uns Frieden, und niemand sehnt ihn mehr herbei als die Menschen in der Ukraine. Leider wurden alle Versuche, einen Waffenstillstand zu erreichen oder Friedensgespräche zu führen, von Präsident Putin durchkreuzt und abgelehnt.« Das Papier der SPD-Politiker blende ernste Realitäten aus.

Auch Sozialdemokraten reagierten ablehnend. Fraktionschef Matthias Miersch sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, das Papier sei ein Debattenbeitrag. »Das ist legitim, auch wenn ich zentrale Grundannahmen ausdrücklich nicht teile.« Diplomatie bleibe »natürlich oberstes Gebot«, so Miersch. Aber viele Gesprächsangebote »auch vom Bundeskanzler Olaf Scholz« seien von Russlands Präsident Wladimir Putin ausgeschlagen worden.

Auch der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetovic, ging auf Distanz. Er spricht von einem »inhaltlich in weiten Teilen fragwürdigen Papier«, das »nicht Beschlusslage in der Fraktion oder Partei« sei. »Es würde im Falle einer Einbringung auf dem Bundesparteitag auch keine Mehrheit finden«, sagte er der Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch.

Die SPD sei »eine Friedenspartei und bleibt diese auch«, so der Abgeordnete. Dies bedeute aber, dass sie »klar erkennt, dass es neue Realitäten gibt, die neben Diplomatie auch militärische Stärke bedingen«. Ahmetovic betonte, er habe das »Papier von fünf der 120 Mitglieder der Bundestagsfraktion zur Kenntnis genommen«. Es bleibe aber bei der »außen- und sicherheitspolitischen Neuausrichtung« der SPD. Sie stehe für die weitere Unterstützung der Ukraine und glaube nicht, dass eine neue Sicherheitsarchitektur mit Russland entwickelt werden könne, »solange Russland an seiner aggressiv-imperialistischen Außenpolitik festhält«, erklärte Ahmetovic. Zudem stehe die Partei für eine europakonforme Außenpolitik und für das transatlantische Bündnis mit den USA.

Der ehemalige Abgeordnete Michael Roth wetterte wie üblich: »Dieses ›Manifest‹ ist kein spannender Debattenbeitrag, sondern eine weinerliche Melange aus Rechthaberei, Geschichtsklitterung und intellektueller Wohlstandsverwahrlosung«, schrieb er auf X. Der frühere Abgeordnete Fritz Felgentreu kommentierte: »Die letzten sozialdemokratischen Protagonisten einer gescheiterten Politik und ehemalige Protagonisten, die sich hinter sie stellen, beschwören die Zauberformeln von 1982 – was in einer überalterten Partei durchaus Wirkung zeigen kann.«

Die FDP-Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte die SPD-Spitze auf, sich hinter die Außenpolitik der aktuellen Bundesregierung zu stellen. Deren Schweigen sei »ohrenbetäubend dröhnend«, kritisierte sie auf X. Deshalb müsse sich die Parteiführung »sofort erklären«. »Tut sie dies nicht, sollte der Bundeskanzler bereits jetzt über die Vertrauensfrage im Bundestag nachdenken«, meint Strack-Zimmermann. nd/Agenturen

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -