Tumb ist die Hoffnung

Die schlimmsten Klubs der Welt, Teil 1: FC Schalke 04

  • Alfons Huckebrink
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch schon wieder zwanzig Jahre her: Gerald Asamoah feiert ein verlorenes Pokalfinale.
Auch schon wieder zwanzig Jahre her: Gerald Asamoah feiert ein verlorenes Pokalfinale.

»Die Zukunft ist Hoffnung, und aus Güte ward dem Menschen die Zeit gegeben, dass er in der Erwartung lebe.« Das Diktum Thomas Manns trifft in hohem Maße auf die leidgeprüften Anhänger des gebeutelten FC Schalke 04 zu. Die letzte Meisterschaft liegt fast 70 Jahre zurück und die eitle Hoffnung des wahren Fans auf den achten Griff nach der sogenannten Salatschüssel ist partout nicht kleinzukriegen. Ein glühendes Leben in tumber Erwartungsschleife, abgekühlt seit dem jüngsten Abstieg in die Keller-Tristesse der 2. Liga.

Wie die Wildbiene den Nektar aus dem gleisnerischen Gelb des Raps saugt der »Königsblaue« seine Zuversicht aus statistischen Gaukeleien: in der abgelaufenen Saison die deutsche Nr. 1 bei den Auswärtsfahrern. 7365 Unbeirrbare pilgerten je Auswärtsmatch durch die Republik. Daheim liegt der Verein gar mit einem Schnitt von 61 639 Arena-Besuchern europaweit auf Position 11, direkt hinter West Ham United und vor Tottenham Hotspur. Wenn nichts wirklich Zählbares vorgewiesen werden kann, zahlt sich Treue aus, wird Liturgie. Und je heftiger die Stadt Gelsenkirchen im neoliberalen Würgegriff stöhnt, desto fester stehen die Leute zusammen. Nicht nur in der Nordkurve.

Kennt jemand den Namen des aktuellen Trainers? Früher einmal stand das Kürzel MM für Max Merkel, mittlerweile steht es für Miron Muslic. Die Zahl der auf Schalke glücklosen, frühzeitig geschassten Fußballlehrer ist unüberschaubar. Der Fan klammert sich an rare Höhepunkte wie den Gewinn des Uefa-Cups 1997 oder an den spektakulären Fallrückzieher 1977 von Klaus Fischer – auch in die Bestechungsaffäre (»Mein Gott, was waren wir damals dumm«) verwickelt –, der heutzutage als Tor des Jahrzehnts an der Wand im Fußballmuseum Dortmund nachgefallen werden kann. Des Leidens Dornenkrone flicht sich der Schalker in der Stilisierung der dramatisch verlorenen Meisterschaft 2001 (»Meister der Herzen«).

Im Gespräch mit jungen Fans werde ich oft beneidet und sehr rasch, wenn sie erfahren, dass ich die letzte Deutsche Meisterschaft 1958 leibhaftig – wenngleich als Kleinkind – erlebte, als Fußballfossil bestaunt. Ja, die Liebe zum S04 sog ich mit der Muttermilch auf. Kohle, Knappen, Malocher-Mentalität. Das passte zur Textilarbeiterfamilie aus dem Münsterland, die es sich in der langen Nachkriegskonjunktur gemütlich zu machen begann. Die Mutter strickte den vier Söhnen in karg bemessener Freizeit königsblaue Pullover mit schneeweißem Emblem, dazu passend derbe Fäustlinge. Leuchtende Hingucker in Zeiten, als Merchandising sich auf den Vertrieb simpler Autoaufkleber beschränkte. Von sieben Meistertiteln des S04 fielen sechs in die Zeit der Nazidiktatur. Titelsammler unter dem Hakenkreuz, weiß Wikipedia. Unter diesem Zeichen tanzte der Schalker Kreisel auch 1939 beim 9:0-Triumph gegen SK Admira Wien, der den Spielern die NSDAP-Ehrenmitgliedschaft einbrachte. Deutsche Meisterschaft? Wieso gegen Wien? Fragen eines aufgeweckten Kindes. Nun, damals gehörte Österreich noch zu Deutschland, beschied es ein Onkel und in diesem »noch« qualmte die ganze verdrängte Nazischeiße. Meine Liebe kühlte sich merklich ab.

Der Schalker Sumpf trieb schillernde Führungsfiguren ans Licht: einen Sonnenkönig, den Zigarre paffenden Reviermacho, einen rassemauligen Großmetzger. Mit letzterem setzte sich auf der königsblauen Bühne eine Zerlegermentalität durch, die rasch wechselnd Opfer einfordert. Den Pullover schenkte ich meiner Tochter in Berlin, die dafür beim Schalke-Gastspiel im Olympiastadion stupende Kaufofferten entgegennahm. Von meiner Liebe zu Königsblau verblieb die Vernarrtheit ins Spiel von Reinhard »Stan« Libuda, das in Mexiko 1970 beim 5:2 im WM-Match gegen Bulgarien zur Vollendung reifte.

Der echte Fan stirbt in Erwartung, wenn Hoffnung in Religion umschlägt. Und hat hoffentlich vorgesorgt mit einem Ruheplatz auf dem vereinseigenen Gräberfeld. Angelangt im ewigen königsblauweißen Advent träumt er weiter von seiner Achten.

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