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Schwarz-rote Koalition: Gefährliche Gepflogenheiten
Christoph Ruf erkennt bei der schwarz-roten Koalition keine Scham mehr, wenn es darum geht, die Rechte der Opposition einzuschränken
Leserbriefschreiber G. hat recht: Der erste Satz meiner letzten Kolumne war ungeschickt, man könnte auch sagen: doof formuliert: »Ob es gerechtfertigt war, die iranischen Atomanlagen anzugreifen, finde ich eine schwer zu beantwortende Frage«, hatte ich vor einer Woche geschrieben, aber natürlich – und das war ja der Anlass des Textes – halte ich es nicht für legitim, das Völkerrecht zu brechen. Selbst wenn ich (und deshalb die zögerliche Formulierung) als Israeli eine Atombombe in der Hand der Mullahs auch bedrohlich fände. Dass Waffen in der Hand von Trump und Netanjahu für den Weltfrieden kaum weniger bedrohlich sind, haben derweil die vergangenen Tage gezeigt. Bombjour à tout le monde.
Und damit ins Inland – und schon wieder zu einem kontroversen Einstieg. Aber als politisch manchmal heimatloser Linkest-Liberaler, der es in Sachen Meinungsfreiheit mit Rosa Luxemburg hält, halte ich nichts davon, die AfD durch Tricksereien bei der Besetzung von Ausschuss-Vorsitzen bekämpfen zu wollen. Es ist borniert zu hoffen, dass keiner den intellektuellen Widerspruch merkt, der darin besteht, demokratische Grundwerte aus Angst vor Antidemokraten selbst außer Kraft zu setzen.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Wie gefährlich es ist, parlamentarische Gepflogenheiten außer Kraft zu setzen, hat man in den vergangenen Tagen aber auch ganz grundsätzlich gemerkt. Offenbar gefällt der CSU der Gedanke nicht, dass Heidi Reichinnek von der Linke-Fraktion ins Geheimdienst-Kontrollgremium entsandt wird. Dass das einer Partei missfällt, die Bayern so regiert, als gehöre ihr das Bundesland, verwundert nicht. Dass die Seppls aber allen Ernstes überlegen, ihr den Sitz zu verwehren, ist Trumpismus reinsten Wassers.
Wütenden Widerspruch aus der SPD-Fraktion habe ich offenbar überhört. Es ist überhaupt bemerkenswert, wie sich in kurzer Zeit ein florierender schwarz-roter Selbstbedienungsladen etabliert hat: Da bekommt der Ex-Kanzler zusätzlich zum Abgeordnetenmandat noch mal acht weitere Mitarbeiter. Da darf Jens Spahn Fraktionsvorsitzender bleiben, weil SPD und Union beschließen, dass die Öffentlichkeit nicht so genau wissen muss, warum ein CDU-naher Unternehmer in Spahns Nachbarwahlkreis einen Maskenauftrag über eineinhalb Milliarden Euro bekam. Und da lässt dessen Nachnachfolgerin im Gesundheitsministerium, Nina Warken, den Abgeordneten den Sonderbericht zu dieser Maskenaffäre erst auf öffentlichen Druck hin zukommen – allerdings geschwärzt.
Bei Schwarz-Rot weiß man schließlich, wem man seinen Versorgungsjob zu verdanken hat. Nur ein paar Beispiele von vielen für die Klüngeleien einer Regierung, die nun offenbar keine Schamgrenze mehr kennt, wenn es darum geht, die Rechte der Opposition einzuschränken. Und das mit fatalen Folgen. Denn wenn der Verfassungsschutz eines brauchen kann, dann sind es kritische Geister wie Reichinnek, die ihm auf die Finger gucken. Mir kam es in den vergangenen Jahren jedenfalls so vor, als habe der Verfassungsschutz in Bund und Ländern nach dem Vollversagen bei den NSU-Morden eine merkwürdige Schlussfolgerung gezogen. Die Frage, ob er die Verfassung schützt oder den jeweiligen Kurs der Regierungsparteien, ist für mich jedenfalls nicht beantwortet. Reichinnek, übernimm du.
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