Militärische Logik als Staatsräson

Christoph Ruf kritisiert den zunahemden Militarismus in der Weltpolitik

Öllager in der iranischen Hauptstadt Teheran, nachdem es bei einem israelischen Angriff getroffen wurde
Öllager in der iranischen Hauptstadt Teheran, nachdem es bei einem israelischen Angriff getroffen wurde

Ob es gerechtfertigt war, die iranischen Atomanlagen anzugreifen, finde ich eine schwer zu beantwortende Frage. Bei anderen Dingen, die in den vergangenen Tagen passiert sind, würde ich mir wünschen, dass überhaupt Fragen gestellt werden. Dass bei dem Angriff en passant Wissenschaftler umgebracht wurden, scheint im so aufgeklärten Westen jedenfalls kaum jemand als Problem zu sehen. Und auch die begleitenden Aussagen von Israels Verteidigungsminister sorgten nicht für Empörung.

Beim besagten Angriff sollen 60 iranische Zivilisten gestorben sein. Beim ersten Gegenschlag wenige Stunden später starben drei Israelis. Woraufhin Minister Israel Katz sagte: »Falls Chamenei weiter Raketen auf die israelische Zivilbevölkerung abfeuert, wird Teheran brennen.« Wer da herausliest, dass 60 Zivilisten auf der einen Seite nichts zählen, drei auf der anderen aber schon, hat vieles von dem verstanden, was es unmöglich macht, sich noch mit der israelischen Regierung zu solidarisieren. Die Zahl der zivilen Toten in Gaza liegt bei mehreren Zehntausend.

Zum Thema: Für das Recht des Stärkeren – Jana Frielinghaus über die Reaktionen aus Bundesregierung und deutschen Parteien auf Israels Angriff auf den Iran

In den Niederlanden haben am Wochenende große Menschenmengen gegen das israelische Vorgehen demonstriert. In Deutschland wird hingegen nicht mal ernsthaft über die Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron diskutiert. Der will die G7-Staaten zur Anerkennung eines palästinensischen Staates bringen. Im Gegenzug sollen die arabischen Staaten das Existenzrecht Israels anerkennen.

Die fast flächendeckende deutsche Ignoranz erinnert mich schwer an die Zeit vor ein paar Jahren. So wie damals der Neoliberalismus fast unisono als Heilslehre gepredigt wurde, ist heute die militärische Logik Staatsräson – damals wie heute bis weit ins linksliberale Lager. Menschen, die sich Gedanken über eine friedliche(re) Lösung machen, werden attackiert, geächtet und pathologisiert. Egal, ob sie wirklich naiv argumentieren; oder ob sie ein gut durchdachtes Manifest veröffentlichen, wie es Ralf Stegner, Rolf Mützenich und andere Sozis getan haben.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Ob Nahost oder Ukraine – die (verhinderte) Debatte spiegelt einen Paradigmenwechsel wider.

In der Defensive sind heute nicht mehr diejenigen, die den Krieg durch immer mehr Waffen verlängern und dafür nur ein einziges Argument haben: Dass Putin sowieso nicht verhandeln wolle. Was man deshalb auch gar nicht erst ausprobieren müsse. Selbst wenn das stimmte, bliebe ein logisches Dilemma: Wenn man mit jemandem nicht verhandeln kann, muss man ihn zum gewünschten Punkt zwingen. Welcher soll das sein? Eine ukrainische Krim? Dann sollte sich die Welt auf noch viele Tote einstellen. Und auf europäische Wehretats, wie sie US-Präsident Donald Trump gefallen.

Und wieder sind es die Rüstungsbefürworter, die eine Frage beantworten müssen. Die, wie sie auch nur die dringendsten Aufgaben im Bereich Soziales, Wohnen und Integration finanzieren wollen, wenn hunderte Milliarden Euro zusätzlich an die Rüstungsindustrie gehen. Dass es ein Fehler war, im neoliberalen Wahn die Infrastruktur kaputtzusparen, finden heute auch die Lemminge von damals. Bleibt zu hoffen, dass die Lemminge von heute in 20 Jahren noch die Gelegenheit haben, irgendetwas zu bereuen.

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