Brandenburg: Keine Schonzeit für Rehe im Sommer

Waldbesitzer wollen weniger Rehwild, Agrarministerium will weniger Wölfe

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Waldbesitzer und Viehzüchter stecken in Schwierigkeiten und die Jäger sollen es richten.
Waldbesitzer und Viehzüchter stecken in Schwierigkeiten und die Jäger sollen es richten.

Zu viele Rehe sind von Schaden für den Wald. Sie fressen junge Triebe oder knabbern die Rinde derart an, dass Bäume schweren Schaden nehmen oder sogar absterben. 48 928 Rehe erlegten Jäger in Brandenburg im Jagdjahr 2023/24. Das waren bescheidene 156 Rehe mehr als im vorhergehenden Jagdjahr. Dazu kamen noch 6643 Stück Rotwild (minus 19 Stück) und 8870 Stück Damwild (plus 15).

Dem Waldbesitzerverband reicht das nicht aus. Er bittet Agrarministerin Hanka Mittelstädt (SPD), die sogenannte Sommerschonzeit »grundlegend zu überdenken«. Ein angepasster Wildbestand sei zwingend erforderlich. »Die Wälder Brandenburgs stehen durch die Folgen des Klimawandels unter massivem Druck«, wirbt der Landesvorsitzende Malte Eberwein für eine vollständige Aufhebung der Sommerschonzeit und eine Verlängerung der Jagdsaison für Schalenwild vom 1. April bis zum 31. Januar. Dürre, Hitze, Borkenkäfer und andere Faktoren haben seit 2018 großflächige Schäden verursacht, sagt Eberwein. Rudolf Hammerschmidt von den Familienbetrieben Land und Forst springt ihm mit der Bemerkung bei, die Investitionen in die Umgestaltung von Kiefernmonokulturen in klimaresistenten Mischwald müssten vor dem Verbiss geschützt werden.

Den Rehen beikommen könnten neben den Jägern auch Wölfe. Ein Beispiel dafür ist der US-amerikanische Yellowstone-Nationalpark. Dort wurden die 1926 ausgerotteten Wölfe ab 1995 wieder angesiedelt. Die Rudel konnten den Überhand nehmenden Bestand von Hirschen regulieren. Die Pflanzenwelt erholte sich.

In Brandenburg sind die hier im 19. Jahrhundert ausgerotteten Wölfe im Jahr 2007 zurückgekehrt und breiteten sich vom Südosten aus über das gesamte Bundesland aus. Weil sie in Schaf- und Ziegenherden einbrechen und sich zuweilen auch an Rinder heranmachen, sind sie etlichen Viehzüchtern verhasst.

Das Landesumweltamt führt eine Rissstatistik. Dort ist aufgeführt, wann und wo Vieh getötet wurde, ob dafür wahrscheinlich oder sicher ein Wolf verantwortlich war oder ob das zumindest nicht auszuschließen ist. Vermerkt ist auch, ob die betroffene Herde durch Hütehunde oder durch einen Zaun geschützt war, den Wölfe nicht überspringen und unter dem sie sich auch nicht durchwühlen können.

Fast täglich wird ein Fall gemeldet. So ist es nach Einschätzung der Gutachter wahrscheinlich, dass es Wölfe waren, die sich Ende März in einem Cottbuser Randgebiet 13 Schafe oder Ziegen schnappten. Zwischen Schafen und Ziegen wird in der Statistik nicht unterschieden.

»Im Jahr 2024 waren in 88 Prozent der Wolfsübergriffe die Weidetiere nicht gemäß den Empfehlungen des Landesamts für Umwelt geschützt.«

Nicole Kronauer Wolfsschützerin

Brandenburgs Agrarstaatssekretär Gregor Beyer (parteilos) sagte bereits im Februar, dass er einen Abschussplan für Wölfe für notwendig halte. Er ging von etwa 2000 Exemplaren im Bundesland aus und sagte, dass im sehr viel größeren und nur dünn besiedelten Norwegen die Wolfspopulation auf 250 beschränkt werde. Bis zum Sommer soll eine Jagdgesetznovelle vorgelegt, nach der Sommerpause des Landtags soll sie beschlossen werden.

Die Umweltverbände Nabu und BUND lehnen eine Abschussquote ab. Sie sei »reine Symbolpolitik« und mit vielen offenen Fragen verbunden, meint der BUND-Landesvorsitzende Carsten Preuß. Am Montag erinnert er daran, dass die vor 15 Jahren in der Slowakei freigegebene Jagd auf den Wolf nicht zu weniger Rissen in diesem Staat geführt hätten. Ähnlich sei es in Frankreich gekommen. In Spanien gebe es sogar mehr Wolfsrisse, seit die Jagd dort erlaubt sei.

In Brandenburg habe die Zahl der Wolfsrisse auch ohne Jagd zuletzt abgenommen – bei Schafen und Ziegen im vergangenen Jahr um 26 Prozent, bei Rindern um 39 Prozent, sagt Preuß. Esel seien gar nicht mehr gerissen worden. Nach Ansicht von Preuß muss der Wolf nicht ins Jagdgesetz aufgenommen werden. Die Herden könnten mit Hunden und Zäunen besser geschützt werden. Die vorhandene Wolfsverordnung wäre so zu ändern, dass einzelne »Problemwölfe« vereinfacht entnommen werden können. Als Problemwölfe gelten Exemplare, die mehrfach in dieselbe Herde einbrechen, in Siedlungen eindringen und nicht die für ihre Art typische Scheu vor Menschen zeigen. Sie dürfen, wenn sie sich weder vertreiben noch einfangen lassen, bisher in streng geregelten Ausnahmefällen abgeschossen werden.

»Im Jahr 2024 waren in 88 Prozent der Wolfsübergriffe die Weidetiere nicht gemäß den Empfehlungen des Landesamts für Umwelt geschützt«, bedauert Nicole Kronauer von der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe. Eine Quotenjagd könnte die Probleme noch verschärfen, warnt Nabu-Vizelandeschef Karl-Heinz Marschka. Wenn dadurch Rudelstrukturen zerstört werden, könnten Weidetiere den Wölfen in der Not bevorzugt als Beute dienen, erklärt er.

- Anzeige -

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -