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Gasförderung vor Borkum: Geschenk für die fossile Industrie
Bundesregierung wartet nicht auf Gerichtsurteil zu Gasförderung und Umweltschutz in der Nordsee
Maßgebliche Mitglieder der Bundesregierung scheren sich bekanntlich nicht immer um Gerichtsurteile. Kanzler Friedrich Merz (CDU) will Israels Premier Benjamin Netanjahu bei einer möglichen Einreise nicht festnehmen lassen, obwohl ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt. Und Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) hält ungeachtet eines anderslautenden Richterspruchs an Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze fest.
In einem weiteren aktuellen Fall wartet die Regierung erst gar nicht ab, was die Justiz entscheidet: Obwohl beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht (OVG) eine Klage anhängig ist, wollte das Kabinett eigentlich am Dienstag einen Vertrag mit den Niederlanden für die umstrittene Gasförderung vor der Nordseeinsel Borkum absegnen. Kurzfristig wurde der Tagesordnungspunkt jedoch auf den 2. Juli verschoben.
Konkret geht es dabei um ein völkerrechtliches Abkommen zwischen beiden Staaten, über das seit Sommer 2022 verhandelt wurde. Der frühere Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte noch im August 2024 erklärt, vor einer Unterzeichnung mögliche Gerichtsurteile abwarten zu wollen. Ein Bündnis von Umweltschutzorganisationen um die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und die Stadt Borkum klagen vor dem OVG gegen die Gasförderung. Sie fürchten Umweltschäden für das Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer.
»Wer das unterschreibt, riskiert, sich juristisch für Jahrzehnte an fossile Konzerne zu ketten.«
Constantin Zerger Deutsche Umwelthilfe
Der vertraulich gehaltene Vertragstext, der der Deutschen Umwelthilfe (DUH) vorliegt, erleichtert demnach die Erschließung weiterer fossiler Lagerstätten in der Nordsee massiv – ohne ausreichende Umwelt- und Klimaschutzauflagen, mit privaten Schiedsgerichten sowie drastischen Einschränkungen für deutsche Behörden. Klimaschutzziele und CO2-Bilanzen würden im Vertragstext vollständig ausgeblendet, so die DUH. Verfahren sollten zu Lasten der Gründlichkeit der Prüfung massiv beschleunigt werden. Es gebe zudem keinerlei verbindliche Regelungen zu Umwelt- oder Havarierisiken.
»Während weltweit Klimakatastrophen zunehmen, plant die Bundesregierung im Hinterzimmer, fossile Energien in der Nordsee auf Jahrzehnte zu zementieren«, beklagt DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Das Abkommen sei »ein Geschenk für die fossile Industrie«, um künftig schneller und leichter Gas und Öl zu Lasten von Klima und Umwelt fördern zu können.
Aus Sicht von Constantin Zerger, DUH-Leiter Energie und Klimaschutz, liest sich das Abkommen gar »wie ein Wunschzettel der fossilen Industrie«: Genehmigungen im Schnelldurchlauf, private Schiedsgerichte und keinerlei Klimaschutzvorgaben. Geltendes Recht beziehungsweise dessen Durchsetzung werde davon abhängig gemacht, dass der Nachbarstaat sein Einvernehmen erteile: »Wer so etwas unterschreibt, verrät nicht nur die eigenen Klimaziele, sondern riskiert auch, sich juristisch für Jahrzehnte an fossile Konzerne zu ketten.«
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Auch Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) verweist auf ausstehende Gerichtsverfahren. Selbst wenn sich die Bundesregierung zu einem Gasförderabkommen mit den Niederlanden entschließe, seien die Entscheidungen der Gerichte in dieser Sache abzuwarten. Neben der Klage der Umweltverbände gegen die Fördergenehmigung läuft auch noch ein Verfahren um ein Seestromkabel für die Anbindung der Förderplattform.
Über die Gasförderung vor den Inseln Schiermonnikoog und Borkum durch den niederländischen Energiekonzern One-Dyas wird seit Jahren gestritten. Ende März hatte One-Dyas mitgeteilt, man habe mit der Förderung begonnen – zunächst in einer Testphase und auf niederländischem Hoheitsgebiet. One-Dyas plant aber, von einer Bohrplattform aus auch unter dem Meeresboden auf deutschem Gebiet Gas zu fördern. Das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie hatte dafür 2024 eine auf 18 Jahre befristete Genehmigung erteilt.
Für Borkums parteilosen Bürgermeister Jürgen Akkermann war das »ein herber Schlag gegen das Unesco-Weltnaturerbe, den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und damit für die Lebensgrundlagen der Insulanerinnen und Insulaner«. Die Entscheidung sei nicht nachzuvollziehen.
One-Dyas sieht das anders. Konzernchef Chris de Ruyter van Steveninck sagt, dass von der Förderplattform noch weitere Gasfelder erschlossen und die Produktion gesteigert werden könnten – auf bis zu drei Prozent des deutschen Gasbedarfs. »Und das in Zeiten, in denen wir nach Möglichkeiten suchen, unsere Abhängigkeit von Ländern wie den USA und Russland zu verringern und den Energiebedarf so weit wie möglich lokal zu decken.«
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