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- Doku »One to One: John & Yoko« im Kino
John & Yoko: Sie lebten, liebten und starben
Der Dokumentarfilm »One to One: John & Yoko« erzählt von den politischen Kämpfen der frühen 70er Jahre in den USA
Als Yoko Ono und John Lennon im Jahr 1973 von einem Journalisten gefragt werden, auf welche Weise die Nachwelt sie in Erinnerung behalten solle, antwortet Yoko, am liebsten sei ihr, man sage: »Sie lebten, liebten und starben.« Und John fügt hinzu: »Einfach als zwei Liebende. Wir möchten über dem Atlantik und Pazifik verstreut werden. Aschepartikel über New York, London, Paris und Tokio. Das wäre schön. Das letzte Zeichen unseres Aufstands gegen das Establishment ist, uns selbst überall zu verstreuen, über dem Weißen Haus, dem Buckingham-Palast und dem Tempel des Kaisers.«
Mit 33 Jahren will Lennon sich nicht mehr als der eingängige Popsongs schmetternde Beatle verstanden wissen, als der er berühmt wurde. Er habe kein Interesse daran, »die Vergangenheit wiederzubeleben«, sondern wolle jetzt er selbst sein, sagt er in einer Szene dieses Films. Er und Yoko beabsichtigen, sich für eine bessere, freiere, gerechtere Welt zu engagieren. Spätestens seit ihrem Umzug von England nach New York im Jahr 1971 verstehen sie sich als soziale Aktivisten, als Angehörige der wachsenden Gegenkultur in den USA. Feminismus, Pazifismus, die Proteste gegen den reaktionären Präsidenten Richard Nixon und den Vietnam-Krieg, die antirassistische Bürgerrechtsbewegung, die Kunst, die Yippies und die Hippies: All das soll zusammenkommen und sich vereinen zu einer »revolutionären Bewegung«, so die damalige Vorstellung. Allerdings sitzen oder liegen Yoko und John auch oft zu Hause in ihrem kleinen Apartment herum und sehen stundenlang fern. Der am Fußende des Betts stehende Fernseher, sagt Lennon, ersetze ihm »das Kaminfeuer meiner Kindheit«.
Kevin Macdonalds Dokumentarfilm »One to One: John & Yoko« erzählt nicht nur vom Leben des Künstlerpaares Ono/Lennon im New Yorker Boheme-Viertel Greenwich Village der frühen 70er Jahre, sondern vor allem von den politischen und sozialen Kämpfen dieser Zeit, in welche auch das »One to One«-Benefizkonzert im Madison Square Garden fällt, der einzige abendfüllende Solo-Auftritt Lennons nach dem Ende der Beatles. Das Konzert, das zugunsten von behinderten Kindern und Erwachsenen gegeben wurde, die man lange Zeit in einem Heim hatte verwahrlosen lassen, fand am 30. August 1972 statt.
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Der unkonventionelle Film führt uns in Form einer rasanten Videoschnipsel-Collage aus Archivmaterial zurück in diese Ära, in der auf der einen Seite die Nixon-»Rednecks« standen und auf der anderen das bereits erwähnte Patchwork der nach Emanzipation strebenden Minderheiten: Wir sehen TV-Nachrichtenbilder und hören Auszüge aus mitgeschnittenen Telefongesprächen; Ausschnitte aus Reklamespots stehen neben kurzen Szenen aus kontroversen Fernsehinterviews; Privataufnahmen aus der Wohnung von John und Yoko werden kombiniert mit Fernsehbildern von Anti-Kriegs-Demonstrationen und Anti-Rassismus-Protesten.
Auf einen belehrenden oder die Bilder einordnenden Off-Kommentar wird verzichtet. Erklärt wird nichts, Personen werden, wenn überhaupt, nur mit kurz eingeblendetem Namen vorgestellt. Vielmehr soll das Gezeigte sich selbst erklären: John und Yoko mit Begleitmusikern auf der Bühne, singend und »Stop The War« rufend / der händeschüttelnde Nixon auf Staatsbesuch in China / ein Ausschnitt aus einer Gameshow des US-Fernsehens, eine lachende Blondine / Nachrichtenbilder aus Vietnam, die fallende Bomben, brennende Hütten, weinende Kinder und US-Soldaten zeigen / John und Yoko auf der »ersten internationalen feministischen Konferenz«, auf der gerade abgestimmt werden soll, ob Männer anwesend sein dürfen / ein US-Fernsehreporter steht 1971 vor dem Hochsicherheitsgefängnis Attica und berichtet von der soeben dort stattfindenden gewaltsamen Niederschlagung der Häftlingsrevolte: »Gerade sterben hier drin Menschen« / ein Ausschnitt aus einem Werbespot zeigt eine glückliche Hausfrau in ihrer Küche, einen Braten zubereitend / Hippies rufen »Viva la Revolucion« / der grinsende Nixon im Wahlkampf, ein Kind auf dem Arm haltend und winkend / Yoko Ono bei der Eröffnung einer Ausstellung ihrer Kunstwerke in einer Galerie in New York / der sich angenehm keck und nassforsch gebärdende Friedensaktivist und Anarchist Jerry Rubin, der beim TV-Interview den ihn unterbrechenden Interviewer als intolerante »Fernseh-Plastik-Person« beschimpft / ein Auszug aus einem Telefongespräch von John Lennon, der mitteilt, dass er sich nicht darüber wundere, dass sein Telefonapparat abgehört wird: »Da unten im Keller scheinen erstaunlich viele Reparaturen stattzufinden, jeden Tag.«
Alle paar Sekunden folgt eine neue Szene, sehen wir in hoher Taktzahl neue Bilder, die seinerzeit von privaten Super-8-Kameras gefilmt oder im Fernsehen übertragen wurden. Sie dokumentieren eine untergegangene Ära – die Zeit der Präsidentschaft Nixons, als die USA eine politisch extrem gespaltene Nation waren. Doch erschöpfen die Bilder sich nicht darin. In der Weise, in der sie arrangiert und montiert sind, kommentieren sie auch auf ihre Art den teils erbarmungslos und mit harten Bandagen geführten Kulturkampf der USA der beginnenden 70er Jahre: auf der einen Seite ziviler Ungehorsam, politischer Protest, Kriegsdienstverweigerer, Feministinnen, Befürworter der sexuellen Befreiung, auf der anderen Seite das »kranke System«, die verlogene, bigotte kulturkonservative »weiße, christlich-protestantische, kapitalistische Gesellschaft«, wie Jerry Rubin sie nennt.
Wer nur begrenzte historische Kenntnisse über die politisch-kulturelle Entwicklung der 60er und 70er Jahre in den USA hat und kein Personenregister im Kopf, wird dem Erzählten nicht immer folgen können und sich von den Filmemachern alleingelassen fühlen. Man blickt auf lange Bärte, lange bunte Gewänder und auf extravagante Brillen. Doch zu viel Geschichtswissen wird bisweilen beim Betrachter vorausgesetzt. Es tauchen hier etliche Personen auf, die nicht mehr allen in Erinnerung sein dürften: Den Dichter Allen Ginsberg, Streiter für die homosexuelle Emanzipation und imposante Führungsfigur der Beat Generation, einen der bekannteren Protagonisten der Ära, wird der eine oder die andere vielleicht noch erkennen. Im Film sieht man ihn, neben Ono stehend, ein denkwürdiges Gedicht aufsagen, in dessen Versen es hauptsächlich um die Unfähigkeit verschiedener Persönlichkeiten (Richter, Politiker, Notenbankpräsidenten) geht, in ausreichender Weise der Körperpflege nachzukommen: »Die meisten haben stinkende, feuchte Hinterteile / Die ungeeignet sind fürs Liebesspiel / Verschmutzte Unterwäsche, die klebt / Und alle führen Krieg / Die wenigsten können ihre Schließmuskeln entspannen«.
Aber wer kennt noch Jerry Rubin? Den Politaktivisten Abbie Hoffman? John Sinclair, den einstigen Manager der Protopunkband MC5? Den rassistischen ehemaligen US-Gouverneur George Wallace? Oder gar die womöglich skurrilste historische Person, die mehrfach in diesem Dokumentarfilm auftaucht: den Polit-Aktivisten Alan J. Weberman, der über Jahre hinweg den Folksänger Bob Dylan stalkte, dem er vorwarf, zum »Feind« übergelaufen zu sein. In einer denkwürdigen Szene des Films kann man ihn dabei betrachten, wie er Dylans Mülleimer durchwühlt und die Sachen, die er dabei zutage fördert, in die Kamera des ihn begleitenden Journalisten hält und kommentiert.
Doch wie gesagt: Im unablässigen Strom der Bilder, die der Film uns einerseits liefert, deren Erläuterung und Einsortierung er andererseits verweigert, wird es dem Betrachter überlassen, sich zurechtzufinden.
»One to One: John & Yoko«, Großbritannien 2024. Regie: Kevin Macdonald. 101 Min. Kinostart: 26.6.
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