Trügerische Normalität

Israel will Kampf gegen »iranische Achse« fortsetzen

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 5 Min.
Palästinensische Kinder warten an einer Lebensmittelausgabestelle in Nuseirat, im zentralen Gazastreifen. An den Verteilzentren werden regelmäßig auf Essen wartende Zivilisten durch Schüsse israelischer Soldaten getötet.
Palästinensische Kinder warten an einer Lebensmittelausgabestelle in Nuseirat, im zentralen Gazastreifen. An den Verteilzentren werden regelmäßig auf Essen wartende Zivilisten durch Schüsse israelischer Soldaten getötet.

Die israelische Regierung hat die während des Krieges im Land geltenden Beschränkungen aufgehoben. Auf Anweisung von Verteidigungsminister Israel Katz sollte ab Dienstagabend »in allen Bereichen des Landes wieder volle Aktivität eintreten«, erklärte das israelische Militär. Die Vorgabe gelte vorerst bis Donnerstagabend und werde danach geprüft.

Auch im Iran hat Staatspräsident Massud Peseschkian den Menschen eine Rückkehr zum Alltag versprochen, auch der Internetzugang soll wieder möglich sein. In einer Botschaft an die Nation sprach Peseschkian vom »Ende eines zwölftägigen Krieges«, der dem iranischen Volk von Israel aufgezwungen worden sei, und würdigte den Widerstand seines Landes. »Ab heute werden die Regierung und die zuständigen Institutionen mit dem Wiederaufbau beginnen und die Normalität wiederherstellen.«

Normalität heißt in dem Fall auch massive Repression: Der iranische Geheimdienst hat mehr als 700 Iraner verhaftet, die beschuldigt werden, während des Kriegs als Agenten für Israel tätig gewesen zu sein, berichtete die den Revolutionsgarden nahestehende Nachrichtenagentur Fars. Es sollen auch angebliche Spione hingerichtet worden sein. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna wurden am Mittwoch drei Männer in der Provinz West-Aserbaidschan gehängt. Laut der iranischen Justiz hätten sie für das israelische Militär »Attentatsausrüstung« in den Iran gebracht.

Zeigt sich die iranische Regierung nach dem Krieg nun hinsichtlich ihres Atomprogramms konzilianter? Das iranische Parlament will die Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) vorübergehend aussetzen. Der Staatssender IRIB berichtete über einen entsprechenden Beschluss. Zwei wichtige Gremien müssen dem noch zustimmen: der Nationale Sicherheitsrat und der Wächterrat. Der Sicherheitsrat gilt als wichtigstes politisches Entscheidungsgremium im Land, das von Religionsführer Ajatollah Ali Khamenei geleitet wird.

Das Land will der Entscheidung zufolge solange keine IAEA-Inspektoren ins Land lassen, bis die »Sicherheit« der nuklearen Anlagen gewährleistet ist. Dazu müsse die IAEA die Angriffe der USA und Israels auf die Nuklearanlagen verurteilen und das iranische Atomprogramm anerkennen, sagte Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf. »Die IAEA, die den Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen nicht einmal formell verurteilt hat, hat ihre internationale Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt.«

Wie intakt die iranischen Atomanlagen noch sind, lässt sich von außen nur sehr schwer feststellen. Die Angaben über das Ausmaß der Zerstörungen variieren extrem. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, drängt auf die schnelle Wiederaufnahme von Nuklear-Inspektionen im Iran. »Das hat oberste Priorität«, sagte er am Rande einer Sicherheits-Krisensitzung mit der österreichischen Regierung in Wien. Er räumte jedoch ein, dass die Untersuchung von kriegsbeschädigten Anlagen schwierig sei. US-Präsident Donald Trump geht nach wie vor von einer kompletten Zerstörung der Atomanlagen im Iran durch die US-Bombardierung aus. »Ich glaube, es war eine totale Auslöschung«, sagte er beim Nato-Gipfel vor Journalisten in Den Haag. Er glaubt auch nicht, dass der Iran Zeit gehabt hätte, angereichertes Uran vorher wegzuschaffen, »weil wir schnell gehandelt haben«.

Einem Geheimdienstbericht zufolge sollen die US-Angriffe im Iran das Atomprogramm indes nur um einige Monate zurückgeworfen haben. Eine erste Einschätzung komme zu dem Schluss, dass das Bombardement vom Wochenende die unterirdischen Atomanlagen nicht komplett zerstören konnte, wie die Zeitung »New York Times« und der Sender CNN berichteten. Sie beriefen sich auf Beamte, die mit dem als »streng geheim« eingestuften Bericht des militärischen Geheimdienstes (DIA) vertraut seien. CNN zufolge soll der Angriff das iranische Atomprogramm um weniger als sechs Monate zurückgeworfen haben. Trump sprach von »Fake News«.

Für Israel scheint sich trotz der Waffenruhe nichts geändert zu haben. Ungeachtet der »enormen Errungenschaften« im Kampf gegen Irans Atomprogramm und Raketenarsenal habe Israels Regierung nicht die Absicht, den »Fuß vom Pedal zu nehmen«, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Er wolle »den Kampf gegen die iranische Achse zu Ende führen«, die dazugehörende islamistische Hamas im Gazastreifen besiegen und alle Geiseln befreien.

»Jetzt richtet sich der Fokus wieder auf Gaza – um die Geiseln nach Hause zu bringen und das Hamas-Regime zu stürzen«, sagte auch Israels Generalstabschef Ejal Zamir. Angehörige der Entführten fordern dagegen ein Ende des Gaza-Kriegs: »Wir fordern die Regierung auf, dringend Verhandlungen aufzunehmen, die alle Geiseln zurückbringen und den Krieg beenden«, hieß es in einer Mitteilung des Forums der Geisel-Angehörigen. »Wer in der Lage ist, eine Waffenruhe mit dem Iran zu erreichen, kann auch den Krieg in Gaza beenden.«

Unterdessen wurden nach palästinensischen Angaben in der Nähe eines Verteilzentrums für humanitäre Hilfsgüter nördlich der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens 25 Zivilisten getötet, als israelische Soldaten das Feuer auf Wartende eröffneten. Israels Armee wisse von nichts. Mit Agenturen

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