EU-Ratspräsidentschaft: Dänemark plant neuen Vorstoß

Im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft möchte Dänemark eine Initiative zur Chatkontrolle einbringen

  • Aljoscha Hartmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Absicht der Chatkontrolle ist ehrenwert: Minderjährige online besser zu schützen.
Die Absicht der Chatkontrolle ist ehrenwert: Minderjährige online besser zu schützen.

»Der sexuelle Missbrauch und die Ausbeutung von Minderjährigen, die online stattfindet und verbreitet wird, nimmt zu.« Das schreibt Dänemark im Programm zur EU-Ratspräsidentschaft, die das Land am 1. Juli von Polen übernimmt. In seinem Programm für die kommenden sechs Monate ist die Chatkontrolle, offiziell »CSA-Verordnung«, mit hoher Priorität aufgeführt. Das Ziel soll dabei sein, Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern im Internet zu bekämpfen. Dafür sollen Anbieter von Chatprogrammen verpflichtet werden, dass diese einen KI-Filter bekommen, der auf dem Smartphone läuft und Nachrichten vor dem Abschicken im Zweifelsfall an Strafverfolgungsbehörden weiterleitet.

»Das Problem ist, dass es eine anlasslose Massenüberwachung der Bevölkerung ist und das somit gar nicht mit unseren Grundwerten, dem Grundgesetz, aber auch europäischen Rechten vereinbar ist«, so Konstantin Macher vom Bündnis »Chatkontrolle Stoppen«, welches sich seit Jahren gegen das Vorhaben einsetzt.

Orbán ist Verfechter der Chatkontrolle

Kriminelle haben heute schon die Mittel, solche Instrumente zu umgehen. Deswegen hat schon 2023 der Deutsche Kinderschutzbund den Vorschlag als nicht zielführend kritisiert. Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags, des EU-Parlaments und des Rates der EU bestätigen wiederum, dass der Vorschlag nicht mit dem Grundgesetz und europäischen Grundrechten vereinbar ist.

Wie ein KI-Filter technisch umgesetzt würde, ist unklar, außer dass dafür in Chatprogrammen eine Schnittstelle für das Ausleiten von Nachrichten eingeführt werden müsste. Diese würde auch verschlüsselte Nachrichten offenlegen und, wie bei jeder Software, könnte diese von Cyberkriminellen ausgenutzt werden.

Neu ist der Vorschlag nicht. Ursprünglich 2022 vorgelegt von der EU-Kommission, scheiterte zuletzt Polen im Rat der EU daran, eine Einigung zur Verordnung zu erreichen, auch wegen der Ablehnung des Vorschlags durch die damalige deutsche Innenministerin Nancy Faeser. Mit jeder Wahl in der EU kann sich das Verhältnis im EU-Rat verändern. Einige Akteure wie der ungarische Langzeitministerpräsident Viktor Orbán haben ein besonderes Interesse, solche Instrumente langfristig zu etablieren. Einmal eingeführte Maßnahmen werden meist auch ausgebaut, was bei der Chatkontrolle laut Konstantin Macher fatal sein könnte: »Der Kinderschutz ist das Argument, das Orbán anführt, um queere Menschen zu diskriminieren. Dann würde man sagen, was ist mit all den Menschen, die jetzt für diese von Orbán verbotenen Versammlungen werben, müssen wir nach denen auch scannen?«

Die Chatkontrolle ist nur ein Vorstoß. Ein neuer Anlauf für die mehrfach gerichtlich einkassierte Vorratsdatenspeicherung wird auf EU-Ebene gerade erarbeitet. Am 24. Juni wurde von der EU-Kommission auch der Fahrplan für »ProtectEU« vorgestellt, ein umfassendes Paket an Maßnahmen zur Umgehung von Verschlüsselung und zum Abbau des Rechts auf Privatsphäre. Die Chatkontrolle ist nur ein Schritt auf dem Weg zu einem »Kulturwandel« im Bereich innere Sicherheit, wie es die EU-Kommission formuliert.

Offener Brief an Innenminister Dobrindt

Die deutsche Position ist bei der Frage der Umsetzung der Vorschläge entscheidend, so Konstantin Macher: »Deutschland hat ein großes Stimmengewicht im Rat und viele andere Länder schauen, was Deutschland macht.« Das Bündnis »Chatkontrolle Stoppen« hat deswegen auch am 16. Juni einen offenen Brief an den Bundesinnenminister Dobrindt (CSU) veröffentlicht. Darin schreiben sie: »Wir appellieren an Sie, sich für den Schutz von Verschlüsselung einzusetzen.« Bisher ist unklar, welche Position Dobrindt beziehen wird, einzig zur Vorratsdatenspeicherung hat er sich schon positiv geäußert. Auch im Koalitionsvertrag steht nichts zur Chatkontrolle.

Noch 2023 hatte das EU-Parlament zahlreiche Bedenken zur Chatkontrolle. Es plädierte stattdessen für zielgerichtete Ermittlungsbefugnisse und Prävention. Hier, so auch das Argument des Bündnisses »Chatkontrolle Stoppen«, sollte angesetzt werden. Aktuell wird in Deutschland strafbares Material von sexuellem Missbrauch von Kindern im Internet nicht durch die Strafverfolgungsbehörden gelöscht – obwohl das möglich wäre und einen großen präventiven Effekt hätte. Dieses Nicht-Vorgehen hat die Innenministerkonferenz 2023 beschlossen und wurde erst Anfang Juni von dieser erneut bestätigt. Die Gleichzeitigkeit dieser politischen Momente macht Konstantin Macher fassungslos: »Wieso man über einen massiven Eingriff in die Grundrechte von allen Menschen spricht, bevor man die schon jetzt möglichen Maßnahmen ergreift, das ist für mich völlig inakzeptabel.«

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