Buntes Freienwalde trotzt rechter Gewalt

Kundgebung für Vielfalt und Demokratie nach gewalttätigem Naziüberfall dennoch gestartet

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Jule Grienitz, Sprecherin des Bündnisses »Bad Freienwalde ist bunt«, am Sonntag auf dem Marktplatz der Stadt
Jule Grienitz, Sprecherin des Bündnisses »Bad Freienwalde ist bunt«, am Sonntag auf dem Marktplatz der Stadt

»Nach intensiver, monatelanger Vorbereitung und Wochen voller Vorfreude fand heute unsere Kundgebung ›Bad Freienwalde ist bunt‹ statt.« Das erklärt das gleichnamige Bündnis noch am Sonntag. »In diesem Jahr haben sich so viele Kooperationspartner wie nie zuvor beteiligt und mit rund 400 Besucher*innen aller Generationen hatten wir einen großartigen Zuspruch.« Begeistert mit ihrem Auftritt habe unter anderem die im iranischen Teheran geborene Sängerin Faravaz Farvardin. Das Bündnis dankt allen, »die sich von dem feigen Angriff nicht haben einschüchtern lassen«.

Denn bevor es richtig losging mit der mittlerweile fünften Auflage dieser Kundgebung, attackierte ein Dutzend mutmaßlicher Rechtsextremisten Standbetreiber und Besucher mit Schlagstöcken und verletzte mindestens drei Menschen im Gesicht, nach anderen Angaben gab es vier Verletzte. Obwohl die Täter unerkannt flüchten konnten, besteht wenig Zweifel, dass es Rechte waren, denn sie hatten sich mit Sturmhauben in den Farben des deutschen Kaiserreichs vermummt.

»Wir waren beim Aufbau und zehn Minuten vor Beginn der Veranstaltung«, zitiert die Nachrichtenagentur dpa Bündnissprecherin Jule Grienitz. Ordner und beherzt eingreifende Besucher konnten die Angreifer dann abdrängen. »Als der Angriff erfolgte, war die Polizei nicht vor Ort. Die Gefahr, der unsere Veranstaltung ausgesetzt war, wurde falsch eingeschätzt. Das muss sich ändern. Die Bedrohung durch gewaltbereite rechtsextreme Jugendliche muss ernst genommen werden«, fordert das Bündnis.

Nach Angaben der Polizei waren Einsatzkräfte da, aber nicht an der richtigen Stelle. Deshalb habe die Polizei den Angriff nicht verhindern und die Täter nicht ergreifen können.

»Dass die Veranstalter*innen sich durch den Angriff nicht haben einschüchtern lassen und die Kundgebung dennoch durchgeführt haben, ist ein starkes Zeichen für ein vielfältiges und weltoffenes Brandenburg.«

Julian Mockel Opferperspektive

»Wer Menschen attackiert, die ein Familien- und Kinderfest organisieren oder daran teilnehmen, bewegt sich weit außerhalb dessen, was wir als Gesellschaft akzeptieren können und dürfen«, reagiert Innenminister René Wilke (parteilos, für SPD), der noch am Sonntag spontan vorbeischaut. »Dagegen müssen wir uns – egal welcher politischer Auffassung – mit aller Entschiedenheit zur Wehr setzen.« Wilke wünscht den Verletzten baldige Genesung und versichert, die Polizei arbeite bereits intensiv an der Ermittlung der Täter. »Ich hoffe, dass sie schnell gefasst und bestraft werden.«

»Diese gezielte und geplante Gewalttat ist ein erschreckender neuer Höhepunkt der rechtsextremen Organisierung in Bad Freienwalde«, sagt Tom Kurz von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt im Landkreis Märkisch-Oderland (Borg). »Solche Gewalttaten haben das Ziel, zivilgesellschaftliche Gruppen und Initiativen dazu zu bringen, ihre Arbeit einzustellen«, erläutert Julian Muckel vom Verein Opferperspektive. »Dass die Veranstalter*innen sich durch den Angriff nicht haben einschüchtern lassen und die Kundgebung dennoch durchgeführt haben, ist ein starkes Zeichen für ein vielfältiges und weltoffenes Brandenburg«, meint er.

Ganz überraschend kam die Attacke nicht. Schon in den Vorjahren war es am Rande der Kundgebungen zu Störungen durch Neonazis gekommen, die Teilnehmende filmten und so einzuschüchtern versuchten. Im April vergangenen Jahres beschmierten Rechte die Route einer Demonstration von »Bad Freienwalde ist bunt« mit Drohungen. Im Februar 2025 bedrohten sie Teilnehmer einer Tanzaktion des Bündnisses und von den 50 Plakaten, mit denen auf die Veranstaltung am Sonntag hingewiesen wurde, sind etwa die Hälfte heruntergerissen worden. Nach Einschätzung der Beratungsstelle Borg spitzt sich die Situation immer weiter zu – nicht allein in der Stadt Bad Freienwalde, sondern im gesamten Landkreis Märkisch-Oderland.

»Seit letztem Jahr registrieren wir vermehrt Angriffe auf demokratische Veranstaltungen und subkulturelle Orte«, sagt Julian Mockel von der Opferperspektive. Es treffe Paraden zum Christopher Street Day und es gebe auch Brandanschläge wie im Oktober auf das Kulturhaus »Kultberg« in Altdöbern und im Mai auf das Hausprojekt »Zelle 79« in Cottbus. Seien anfangs noch altbekannte Neonazis aus der Region in Aktion getreten, so seien die Bedrohungen zuletzt maßgeblich von neuen rechten Strukturen ausgegangen.

Auch am Wochenende gibt es neben dem Vorfall in Bad Freienwalde noch mindestens einen weiteren: In der Nacht zum Sonntag wird am Rathaus von Dallgow-Döberitz im Havelland die dort aufgezogene Regenbogenflagge angezündet.

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»Wer Symbole der Vielfalt zerstört und Menschen verletzt, weil sie sich für Demokratie engagieren, handelt in der Logik rechtsextremer Einschüchterung und Verrohung«, erklärt die Grünen-Landesvorsitzende Andrea Lübcke. »Wir sagen seit Jahren: Aus Worten werden Taten. Heute sehen wir, wie bitter ernst das ist.« Statt Mittel für Demokratieprojekte und für Beratungsstellen wie die Opferperspektive zusammenzukürzen, müssten diese finanziell abgesichert werden, verlangt Lübcke.

Das meint auch der Linke-Landesvorsitzende Sebastian Walter. »Lippenbekenntnisse reichen nicht mehr«, sagt er. Die in Brandenburg regierende Koalition aus SPD und BSW müsse »die geplanten Kürzungen bei den Akteuren der Zivilgesellschaft und insbesondere bei der Opferperspektive sofort stoppen«. Die Täter müssten schnell identifiziert und zur Verantwortung gezogen werden. Walter versichert: »Wir lassen nicht zu, dass Menschen aus Angst schweigen müssen oder Veranstaltungen abgesagt werden. Die Linke steht fest an der Seite aller, die für eine bunte und solidarische Gesellschaft einstehen – auf dem Land wie in der Stadt.«

»Gewalt ist niemals zu rechtfertigen – gleich aus welchem politischen Lager sie kommt«, reagiert der AfD-Landesvorsitzende René Springer auf die Attacke in Bad Freienwalde. Er fordert eine lückenlose Aufklärung. Brandenburg dürfe kein Ort sein, an dem Gewalt Teil der politischen Auseinandersetzung wird. »Wer Menschen angreift, weil sie ihre Meinung öffentlich äußern, stellt sich außerhalb des demokratischen Grundkonsenses.«

»Wenn Neonazis mit Waffen ein Familienfest angreifen, zeigen sie vollends ihre menschenverachtende Einstellung«, urteilt Maica Vierkant vom brandenburgischen Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus. »Angeheizt wird die aggressive politische Stimmung, aus der solche Gewalt entsteht, auch von der AfD, die in ihren politischen Initiativen regelmäßig die demokratische Zivilgesellschaft diffamiert.«

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