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Weltweite Klimapolitik: Lächerlich ehrlich
Christoph Ruf hält die Kritik an Donald Trumps klimafeindlicher Politik für heuchlerisch. Denn der sei wenigstens ehrlich.
Eine gängige Theorie, warum die Menschheit so wenig gegen den Klimawandel tut, ist die, dass die Bedrohung zu abstrakt sei. Die Leute könnten nicht erkennen, warum es in ihrem eigenen Interesse wäre, sich etwas weniger idiotisch zu verhalten. Wenn das stimmt, wäre das eine etwas merkwürdige Definition des Wortes »abstrakt«: In der Schweiz wurde gerade ein Dorf verschüttet, weil das ewige Eis, das die Geröllmassen zusammenhielt, kein ewiges mehr ist. In Spanien schließen die Strandbars, weil sich das Meer den zur Bar gehörenden Strand zurückholt. Der Juni 2024 war weltweit der heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen. Und man braucht nicht viel Fantasie, um zu prognostizieren, welches Jahr in einigen Tagen zum neuen Rekordhalter gekürt wird. Sonderlich abstrakt finde ich das alles eigentlich gar nicht.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Umso erstaunlicher ist die Stimmung hierzulande. Parallel zu den Hiobsbotschaften beim Klima liest man, dass in diesem Jahr schon 460 000 Wegwerf-Grills verkauft worden sind – das sind 39 Prozent mehr als im Vorjahr. Wie man überhaupt auf immer mehr Menschen trifft, die kaum noch verhehlen können, dass sie mit der Regierungsbeteiligung von Robert Habeck und Co. auch das Thema Ökologie für überlebt halten. Ersteres kann man noch nachvollziehen, zweiteres ist aber eher ein Zeichen, wie heuchlerisch manchmal die Kritik an Donald Trump ist. Während der in seiner brachial-blöden Borniertheit keinen Hehl daraus macht, dass er von Ökologie so viel hält wie von Menschenrechten, wird er dafür von den gleichen Politikern belächelt, die de facto die gleiche Politik verfolgen.
Beispiel: Das Deutschland-Ticket. Das ist eigentlich seit seiner Einführung vor zwei Jahren eine ziemliche Erfolgsgeschichte. Im vergangenen Dezember nutzten es 14,5 Millionen Menschen. Mit der Erhöhung des Preises auf 58 Euro im Januar kündigten dann laut einer noch unveröffentlichten Studie des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) rund 430 000 Menschen ihre Ticket-Abos aus genau diesem Grund. Bei jungen Leuten brachen die Bestellungen sogar um 36 Prozent ein. Man kann nur hoffen, dass diese Zahlen auch veröffentlicht werden, zuletzt ist es ja Mode geworden, dass Politiker Dokumente schwärzen, wenn ihnen das Geschriebene nicht in den Kram passt.
Derzeit geht es zwischen Bund und Ländern jedenfalls um die Frage, wer die prognostizierten Mehrkosten von (Achtung!) 0,8 Milliarden Euro übernimmt, die nötig wären, um das Deutschland-Ticket zu sichern. Die Länder sind pleite und sehen den Bund in der Pflicht. Doch der gibt das Geld lieber nach Trump’schen Maximen aus. 153 Milliarden Euro wird Greenpeace-Zahlen zufolge der Autobahn- und Bundesstraßenbau bis 2035 verschlingen. Und da Russlands Präsident Wladimir Putin bekanntlich sonst schon morgen in die entindustrialisierte Zone im Ruhrgebiet einmarschiert, sind allein für dieses Jahr im Verteidigungshaushalt 95 Milliarden Euro eingeplant, die 105 neuen Leopard-Panzer sind da noch nicht einmal mit drin.
Die deutsche Politik ist letztlich so irrational wie die von Trump. Und sie hat die gleiche Prioritätensetzung. Warum? Weil sie es kann. Die Einweggrill-Gesellschaft findet gerade andere Themen wichtiger. Irgendwelche Milliardärshochzeiten beispielsweise. Oder Jamal Musialas Wadenbein.
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