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AfD: Mehr »Mitte«, weniger Verbotsgefahr

Die AfD-Fraktion im Bundestag will ihren Ton ändern und neue Wähler gewinnen

Die AfD will Alice Weidel zur Kanzlerin machen und übt sich deshalb in rhetorischer Zurückhaltung.
Die AfD will Alice Weidel zur Kanzlerin machen und übt sich deshalb in rhetorischer Zurückhaltung.

Für die AfD wurden in den vergangenen Tagen mal wieder viele Schlagzeilen produziert. Von einem »Grundsatzpapier« war die Rede, in dem sich die AfD von »Remigration« und »Leitkultur« abwende. Nun, um ein Grundsatzpapier handelt es sich nicht bei dem, was die AfD-Fraktion beschlossen hat, sondern nur um ein Strategiepapier für die Fraktion. Dass Begriffe wie »Remigration« darin fehlen, kann als Mäßigung der Partei gelesen werden, muss aber nicht. Wie die AfD Probleme lösen möchte, bleibt rassistisch. Gegen die Wohnungsnot etwa schlägt die Partei Abschiebungen vor. Martin Sellner, prominentester Vertreter des Begriffs »Remigration« im deutschsprachigen Raum, argumentiert genauso.

Dass Begriffe wie »Remigration« nicht im Strategiepapier der Fraktion vorkommen, dürfte zwei Gründe haben. Der erste ist leicht erklärt: Die AfD will verhindern, dass ihre Einstufung durch den Verfassungsschutz als »gesichert rechtsextreme Bestrebung« vor Gericht standhält. Den Status als verfassungsfeindliche Partei und größere Verbotsdebatten will sie vermeiden. Deshalb hält sie es für zielführend, auf Begriffe wie »Remigration« zu verzichten. Erst recht, da das Bundesverwaltungsgericht kürzlich im Prozess um das Verbot des Magazins »Compact« deutlich sagte, dass es Sellners »Remigrationskonzept« für verfassungsfeindlich hält.

Der zweite Grund dürfte strategischer sein. »Remigration« ist eindeutig als Begriff der extremen Rechten besitzt. Dort hat die AfD parlamentarisch aber sowieso einen faktischen Alleinvertretungsanspruch. Wichtiger ist es für die Partei, Wähler*innen aus der sogenannten Mitte zu gewinnen. Das geht klar aus einer Präsentation hervor, die bei der Klausurtagung der Fraktion gezeigt wurde und die das Portal Politico veröffentlicht hat.

In der Präsentation werden zahlreiche Daten zur AfD-Wähler*innenschaft wie Alter, Migrationshintergrund, Bildungsabschlüsse, Kompetenzzuschreibungen und Wählerwanderung dargestellt. Die Fraktion zieht daraus Schlüsse über ihre Stärken und Schwächen. Schwächen sieht die Partei bei Frauen, der Generation über 60, bei Akademiker*innen, in Großstädten, bei Deutschen mit Migrationshintergrund und bei konfessionell gebundenen Christen. Für diese Gruppen will die Fraktion ihren Ton mäßigen.

Strategisch setzt die Fraktion auf Offensichtliches. Sie will mit Themen aus dem Bereich »Kulturkampf« wie Gender und »Multikulti/Nation« dafür sorgen, dass die Kluft zwischen der CDU auf der einen Seite sowie SPD, Grünen, Die Linke auf der anderen größer wird. Die Union soll so in die Enge getrieben werden. Entweder sie verwirft die »Brandmauer« oder die AfD kann sie als immer unglaubwürdiger darstellen. Dafür will die Fraktion sich stärker in wirtschafts- und finanzpolitischen Themen positionieren und als Alternative zur Union darstellen. Als Ziel gibt die Fraktion die Kanzlerschaft von Alice Weidel aus.

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Auch im Bundesvorstand der AfD ging es am Montag um die Außenwirkung der Partei. Roman Reusch, der im Vorstand für die Gerichtsverfahren mit dem Verfassungsschutz verantwortlich ist, empfahl der Partei, auf eine Zusammenarbeit und Veranstaltungen mit Martin Sellner zu verzichten. Wie die »Welt« zuerst berichtete, argumentierte Reusch vor allem mit der Erwähnung Sellners im »Compact«-Prozess. Einen formellen Beschluss, keine Veranstaltungen mit dem identitären Österreicher mehr durchzuführen, gab es dabei nicht, die Empfehlung soll in zwei Wochen in einer Sitzung mit den Landesvorsitzenden besprochen werden.

Einer der Landesvorsitzenden, der Thüringer Björn Höcke, reagierte in den sozialen Netzwerken auf die Distanzierung von Sellner. Er postete ein Bild von sich mit dem »Remigrations«-Buch Sellners und gab eine lobende Leseempfehlung ab. Ein zentraler Punkt darin: Man dürfe Sellner nicht »in den Rücken fallen«, auch nicht aus taktischen Gründen. Wer sich distanziere, verliere. Höcke bewegt sich also mal wieder auf einer Linie mit dem neurechten Parteiumfeld, das wegen der Strategiedebatte schon vor einer »Merkelisierung« der AfD warnt. Die Vertreter*innen dieses Flügels mahnen, dass eine weichgespülte, koalitionsfähige AfD schnell wieder abstürzen könnte. So sei es in Europa vielen rechten Parteien gegangen, die zu schnell in Regierungsverantwortung gekommen sind.

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