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Aus für letzte Solarglasfirma Europas

Glasmanufaktur im südbrandenburgischen Tschernitz meldete Insolvenz an

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Rettung auf Zeit: Beim Neustart des Betriebs als Solarglashersteller im Jahr 2008
Rettung auf Zeit: Beim Neustart des Betriebs als Solarglashersteller im Jahr 2008

Bei der Bundestagswahl im Februar erhielt die AfD in Tschernitz im Landkreis Spree-Neiße 61,9 Prozent der Stimmen – fast doppelt so viel wie im gesamten Land Brandenburg und dreimal so viel wie in ganz Deutschland. In dem Ort gibt es keine Flüchtlingsunterkünfte, aber die Glasmanufaktur Brandenburg GmbH (GBM), Deutschlands letzten Solarglashersteller, der schon seit Ende 2023 Verluste machte und ums Übeleben kämpfen musste. 243 Jobs hängen an dem Betrieb. Die Belegschaft wurde bereits vor Monaten in Kurzarbeit geschickt.

Nun scheint es endgültig vorbei zu sein. Bereits am Freitag meldete die GmbH Insolvenz an, wie Geschäftsführer Nico Succolowsky dem Sender RBB am Montag sagte. Der RBB zitierte ihn mit den Worten: »Die schwierige wirtschaftliche Lage in der europäischen Solarindustrie hat bislang trotz intensiver Bemühungen und Investitionen des Unternehmens und des Mehrheitsgesellschafters eine Restrukturierungslösung verhindert.«

Die Zahlungsunfähigkeit war absehbar. Doch es hätte nicht so kommen müssen. Im März 2023 hatte der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke) die Glasmanufaktur besucht, in der die einzige Glasschmelzwanne Europas steht. Görke konnte noch besichtigen, wie überdimensionale Glasscheiben zugeschnitten werden. Die Beschäftigten erledigten einen Großauftrag, den der indische Mutterkonzern Borosil eigentlich für den Subkontinent an Land gezogen, aber in die Lausitz abgegeben hatte. 17 Millionen Quadratmeter Spezialglas jährlich fertigte die GMB, von denen vier Millionen für Gewächshäuser bestimmt waren und der große Rest für die Solarindustrie.

»Es ist sozial, ökonomisch und ökologisch verkehrt, als Staat bei der Rettung einer Zukunftsindustrie so zu versagen.«

Christian Görke Bundestagsabgeordneter

Ein Quadratmeter hiesiges Solarglas koste 7 bis 7,50 Euro, rechnete Geschäftsführer Succolowsky seinerzeit vor. Die chinesische Konkurrenz produziere für rund acht Euro, könne den Quadratmeter aber für etwa vier Euro ausliefern, weil sie hoch subventioniert sei. Unter solchen verzerrten Wettbewerbsbedingungen hätte das Tschernitzer Werk nur überleben können, wenn Deutschland den Erwerb heimischer Solaranlagen mit einem Bonus angeregt hätte. »Die meisten machen sich sehr, sehr große Sorgen«, schilderte Betriebsrat Lars Günther die Stimmung unter den damals noch 320 Kollegen.

»Es ist fünf Minuten nach zwölf«, warnte Oppositionspolitiker Görke. Die heimische Solarindustrie stehe vor dem Aus – und das, obwohl Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) immer von der Energiewende fasele. »Warum ein staatlicher Zuschuss in Frankreich, Österreich und Italien möglich ist, um die nationale Solarwirtschaft zu unterstützen, bei uns aber nicht, bleibt das Geheimnis der Bundesregierung«, sagte Görke. Er wollte der Regierung »Feuer unterm Arsch machen«. Genutzt hat es nichts. Der erhoffte Bonus blieb aus. Robert Habeck ist mittlerweile nicht mehr Wirtschaftsminister. Seine Grünen haben in Tschernitz bei der Bundestagswahl im Februar lediglich 1,7 Prozent der Stimmen bekommen. Die Koalition der Grünen mit der SPD (in Tschernitz 6,4 Prozent) und mit der FDP (2,9 Prozent) ist Geschichte. Die auf 1600 Grad Celsius erhitzbare Schmelzwanne im Werk bleibt dennoch kalt.

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Die Insolvenz des Unternehmens sei »eine industriepolitische Bankrotterklärung« der neuen Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), sagt der Bundestagsabgeordnete Görke nun. »Die Insolvenz war absehbar und vermeidbar«, meint er am Dienstag. »Die Linke, Hersteller und Zulieferer hatten lange einen Resilienzbonus gefordert. Weder im Koalitionsvertrag noch im aktuellen Regierungshandeln von Bundes- und Landesregierung wurde reagiert.« Jetzt müssten »alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um dieses Unternehmen durch staatliche Beteiligung oder Garantien noch zu retten«. Arbeitsplätze in dieser Region zu verlieren, »wäre ein Konjunkturprogramm für die AfD«, erklärt Christian Görke. »Es ist sozial, ökonomisch und ökologisch verkehrt, als Staat bei der Rettung einer Zukunftsindustrie so zu versagen.«

»Es ist schwer vorstellbar, dass die Glasindustrie vollständig aus der Lausitz verschwindet«, sagt Landrat Harald Altekrüger (CDU). Aber: »Alle Bemühungen, diesen wertvollen Industriezweig zu erhalten, waren nicht erfolgreich. Das ist für die Beschäftigten und die ganze Region ein schwerer Schlag.«

Brandenburgs Wirtschaftsminister Daniel Keller (SPD) bedauert: »Unter den jetzigen Bedingungen gibt es keinen Markt für Solarglas aus Tschernitz. Das können weder das Land Brandenburg, noch Gemeinde oder Landkreis und auch nicht der örtliche EU-Abgeordnete ändern.« Der Konzern Borosil habe »einen langen Atem bewiesen in der Hoffnung, dass sich in der EU die Rahmenbedingungen ändern und eine Produktion wieder wirtschaftlich möglich wird«. Was Keller dann noch sagt, ist bereits der Abgesang: Die Arbeitsagentur werde die Belegschaft mit viel Einsatz »in neue Beschäftigungen vermitteln oder ihnen neue Perspektiven aufzeigen« und die Wirtschaftsförderung Brandenburg werde sich »mit Nachdruck für eine gewerbliche Nachnutzung des Standortes in Tschernitz einsetzen«.

Der ehemals volkseigene Betrieb hatte nach der Wende zum südkoreanischen Samsung-Konzern gehört und Spezialglas für Fernsehapparate produziert. Mit dem Aufkommen der LED-Flachbildschirme hatte sich das allerdings erledigt. Doch 2008 war nach nur kurzer Pause ein Neustart als Solarglashersteller gelungen.

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