Krausnickdreieck zur atomwaffenfreien Zone erklärt

Einen Friedenspfahl gesetzt und zwei Ginkgobäumchen gepflanzt in einem kleinen, versteckten Bürgerpark in Berlin

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Die klare Botschaft im Bürgerpark Krausnickdreieck lautet: May Peace Prevail on Earth, heißt so viel wie: Möge Friede sein auf Erden.
Die klare Botschaft im Bürgerpark Krausnickdreieck lautet: May Peace Prevail on Earth, heißt so viel wie: Möge Friede sein auf Erden.

Im 17. Jahrhundert befand sich an dieser Stelle ein Obst- und Gemüsegarten. Nach zehn Jahre währenden Bemühungen konnte 2007 die Idee verwirklicht werden, hier einen öffentlich zugänglichen Bürgerpark zu schaffen. Weil er sich aber hinter den Häusern im Dreieck von Oranienburger Straße, Krausnickstraße und Große Hamburger Straße verbirgt und die Zugänge nicht so leicht zu entdecken sind, findet kaum einer der Touristen hinein, die von der Museumsinsel herüberflanieren und die prächtige Synagoge nebenan besichtigen.

Der frei daliegende Monbijoupark auf der anderen Seite der Oranienburger Straße fällt sofort ins Auge. Der paradiesische Krausnickpark mit Kinderspielplatz und sanft ansteigenden Wegen versteckt sich dagegen vor den Blicken Neugieriger, die nichts von ihm wissen. Ein 1999 von Anwohnern gegründeter Verein kümmert sich um dieses Fleckchen Erde – und hat es am Dienstagnachmittag als atomwaffenfreie Zone deklarieren lassen. Knapp 50 Leute wohnen der kleinen Zeremonie bei. Eine Tafel ist mit Kuchenblechen und -tellern gedeckt, auch die ehemalige Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen (BSW) ist gekommen und hat Muffins mitgebracht.

Die Vereinsvorsitzende Anja Schnur begrüßt die Gäste mit den Worten: »Ihr fragt euch sicher: Wie sind wir auf die Idee gekommen?« Natürlich sei dem Bürgerpark Krausnickdreieck e.V. bewusst, dass ganz Ostdeutschland und Berlin mit dem 2+4-Vertrag atomwaffenfrei sei. Das ist der Vertrag von BRD und DDR mit den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs, USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich, den die Außenminister dieser sechs Staaten am 12. September 1990 in Moskau unterzeichneten und damit die deutsche Einheit am 3. Oktober jenes Jahres ermöglichten.

Doch die politische Weltlage habe sich verändert und die Anerkennung des Krausnickdreiecks als atomwaffenfreie Zone solle ein Zeichen setzen, »dass wir Bürger Frieden wollen«, erklärt Anja Schnur. »Das hier ist nicht mehr wegzuwischen«, meint sie.

Die Idee hatte Gerhard Emil Fuchs-Kittowski vom Deutschen Friedensrat bereits 2017, als die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) den Friedensnobelpreis erhielt. Nun überreicht am Dienstag Aicha Kheinette von der deutschen ICAN-Sektion die Anerkennungsurkunde. Sie hofft, dass andere dem Beispiel folgen. Denn der Weg zu einer atomwaffenfreien Welt führe nicht allein über Abrüstungsverträge, sondern auch über viele kleine, mutige Aktionen.

»Noch immer sind mehr Menschen gegen Atomwaffen, auch in Deutschland«, versichert Kheinette. Vor wenigen Wochen lernte sie Kunihiko Sakuma kennen, der am 6. August 1945 als Kleinkind mit seiner Mutter in einem Haus drei Kilometer vom Zentrum der Explosion entfernt war, als ein US-Kampfflugzeug die erste Atombombe über Hiroshima abwarf, der drei Tage später eine zweite Atombombe auf Nagasaki folgen sollte. Sakuma überlebte radioaktiv verstrahlt und hat seither unter den gesundheitlichen Folgen und dem Trauma zu leiden.

Uwe Fröhlich von den Potsdamer Grünen ist nach Berlin in den Krausnickpark gefahren. Er bringt Informationsmaterial über das Gedenken zum 80. Jahrestag der Atombombenabwürfe am 6. und 9. August auf dem Hiroshima-Nagasaki-Platz in seiner Heimatstadt. Von der Potsdamer Konferenz aus hatte US-Präsident Harry S. Truman vor 80 Jahren den Einsatz der schrecklichen Waffe im Krieg gegen Japan befohlen.

Zur Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki werden am Dienstag im Krausnickpark zwei Ginkgobäumchen gepflanzt. Vielleicht wachsen sie ja in eine Welt hinein, in der es irgendwann keine Atomwaffen mehr gibt, sagt Kheinhette. Zwischen die Bäume wurde ein Friedenspfahl gesetzt. Das Loch hob der Anwohner und Physiker Stefan Hetzer zwei Tage zuvor aus und dachte dabei: »Der Schutt, der hier liegt, könnte vom Zweiten Weltkrieg sein.« Denn Hetzer weiß von historischen Aufnahmen, wie sehr Berlin 1945 in Trümmern lag.

Anja Mewes von der Friedensglockengesellschaft enthüllt den Pfahl, indem sie eine Schnur löst und das damit befestigte Tuch herunterzieht. Der an dem aufragenden Holzbalken angebrachte Gebetsspruch »May Peace Prevail on Earth« (Möge Friede auf Erden sein) kommt zum Vorschein. Das gehe zurück auf den japanischen Philosophen Masahisa Goi, erläutert Mewes. Ein solcher Pfahl sei 1976 zuerst in Japan gesetzt worden, inzwischen gebe es 250 000 in 180 verschiedenen Staaten – einen in Berlin an der Friedensglocke im Volkspark Friedrichshain, einen in Cottbus und einen in Reitwein. Vom Reitweiner Sporn aus befehligte Marschall Georgi Shukow im April 1945 den Sturmangriff auf die Seelower Höhen, bei dem die sowjetischen Truppen nach Berlin durchbrachen und dann die Stadt vom Faschismus befreiten.

Zum Abschluss stimmt Gabi Parakeninks von der Rotfuchs-Singegruppe auf der Gitarre den alten Protestsong »We Shall Overcome« an und animiert alle zum Mitsingen. Der Song drückt die Hoffnung der Versammelten aus: »We shall live in Peace« (Wir werden in Frieden leben).

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