Rückzugsforderung an Brosius-Gersdorf

CDU-Politiker Weimer will Richterwahl verändern

  • Lesedauer: 3 Min.
Kulturkampf um das Bundesverfassungsgericht. Führungsversagen oder gezielte Kampagne von rechts?
Kulturkampf um das Bundesverfassungsgericht. Führungsversagen oder gezielte Kampagne von rechts?

Berlin.  Am Vorschlag einer Änderung der Richterwahl am Bundesverfassungsgericht im Zuge der gescheiterten Wahl der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf gibt es heftige Kritik. »Die Zweidrittelmehrheit ist der Erfolgsgarant für die ausgewogene Rechtsprechung des Gerichts«, sagte der Staatsrechtler Alexander Thiele der »Rheinischen Post«. Sie führe dazu, dass »man genau diese schwierigen Prozesse durchleben muss, indem man sich mit der Opposition einigt«.

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) hatte zuvor der »Rheinischen Post« gesagt, es müsse darüber nachgedacht werden, »ob eine Richterwahl weiter mit Zweidrittel-Mehrheiten erfolgen sollte«. Er plädiere für einfache Mehrheiten. »Wir haben zu viele Extremisten im Bundestag. Und die sollten möglichst wenig Einfluss haben.« Auch aus der CSU kamen Forderungen, Richterinnen und Richter künftig mit einfacher Mehrheit wählen zu können.

Linke-Fraktionschefin Heidi Reichinnek bezeichnete Weimers Argumentation als »völlig absurd«. Die Verfassungsrichterwahl sei nicht an Extremisten im Bundestag gescheitert, »sondern einzig und allein an der Union«. Sie dürfe die Schuld nicht bei anderen suchen, sondern es handle sich »um nichts anderes als offenkundiges Führungsversagen der Fraktionsspitze« der Union, fuhr Reichinnek fort. Breite Mehrheiten für alle Kandidatinnen und Kandidaten wären möglich gewesen.

Weimers Vorstoß einer Änderung der Richterwahl sei auch »kreuzgefährlich«, erklärte die Linke-Fraktionschefin. »Breite Mehrheiten für Verfassungsrichter*innen sollen eine stärkere Unabhängigkeit von Parteien garantieren.« Diese Hürde abzusenken würde zu einer »extremen Politisierung des Gerichts führen«, was ein Schaden für die Demokratie bedeute.

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch hat sich gegen indirekte Aufforderungen aus der Union nach einem Rückzug der Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf von ihrer Kandidatur für das Richteramt am Bundesverfassungsgericht gewandt. Es wäre „ein Gebot der Fairness, wenn auch Vertreter der Union innehalten und das Gespräch mit der Kandidatin suchen würden, statt sich täglich reflexartig an Rücktrittsforderungen zu beteiligen“, sagte Miersch den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.

Aufforderungen nach einem Rückzug von Brosius-Gersdorf hatten zuvor Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und CSU-Chef Markus Söder geäußert. Dies wies Miersch nun zurück. Der SPD-Fraktionschef verwies dagegen als positives Beispiel auf das Verhalten von Repräsentanten der katholischen Kirche, die nach anfänglicher Kritik mit der Juristin gesprochen und ihre Kritik daraufhin zurückgenommen oder relativiert hatten.

Gegen einen Rückzug von Brosius-Gersdorf wandte sich auch der Staatsrechtler Alexander Thiele. »Das Problem ist der Umgang mit ihr und nicht sie als Wissenschaftlerin«, sagte er der »Rheinischen Post«. »Ein schnelles Zurückziehen wäre hochgradig problematisch, auch für künftige Nominierungen«, warnte Thiele weiter. Aus seiner Sicht wäre die aktuelle Krise keineswegs »automatisch gelöst, wenn Brosius-Gersdorf hinschmeißt«. Auch Thiele wandte sich damit gegen die Vorstöße aus der Union.

Ebenfalls gegen einen Verzicht auf die Kandidatur von Brosius-Gersdorf wandte sich die Bundesarbeitsgemeinschaft der Kommunalen Gleichstellungsbeauftragten. Dem »Druck von Antifeministen und rechtsextremen Lobbyisten darf nicht nachgegeben werden«, hieß es in einer Erklärung. Der Fall sei ein Beispiel, wie Frauen »durch Fakenews und gezielte Kampagnen persönlich, beruflich oder politisch diskreditiert« würden. Der Vorgang spiele »in die Hände rechtspopulistischer Kräfte und deren Lobby« in Deutschland. Ein Rückzug der Juristin wäre nun »ein Signal an Demokratiefeinde, dass sich Lügenkampagnen, Fake-News und ultrarechte, christlich fundamentalistische Lobbyarbeit lohnt«.  Agenturen/nd

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