AfD in Nordrhein-Westfalen: Zerwürfnis zur Unzeit

Zwei Monate vor der Kommunalwahl ist die AfD in Nordrhein-Westfalen tief zerstritten

Für Martin Vincentz, Landesvorsitzender der Alternative für Deutschland in Nordrhein-Westfalen, könnte der Streit in der Partei bedrohlich werden.
Für Martin Vincentz, Landesvorsitzender der Alternative für Deutschland in Nordrhein-Westfalen, könnte der Streit in der Partei bedrohlich werden.

Sven Tritschler ist so etwas wie ein AfD-Urgestein. Der 43-Jährige ist im Gründungsjahr 2013 in die Partei eingetreten und nachdem sich die Partei 2015 von Bernd Lucke und den Eurokritikern getrennt hatte, übernahm Tritschler den Bundesvorsitz der, inzwischen aufgelösten, Jugendorganisation »Junge Alternative«, gemeinsam mit dem heutigen Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier. Tritschler übernahm in dem Duo den »gemäßigten« Part, setzte unter anderem einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der »Identitären Bewegung« durch. Man müsse sich von verfassungsfeindlichen Gruppen distanzieren, das sei man Soldaten, Polizisten und anderen Beamten in der »Jungen Alternative« schuldig. Tritschler, der seit 2017 im Düsseldorfer Landtag sitzt, ist kein völkischer Scharfmacher, aber auch niemand, der sich aktuell allzu sehr um Distanzierungen von Parteikameraden bemüht.

Am Sonntag verschickte Tritschler allerdings eine siebenseitige Mail an seine Fraktionskolleg*innen und die Bundessprecher*innen der AfD, die mit »wütend« nur unzureichend beschrieben ist. Trotz der Ferienzeit müsse er sich an die Fraktionskolleg*innen wenden, es ginge um eine »dringliche Angelegenheit«, die »möglicherweise strafrechtlich, zumindest aber arbeitsrechtlich« relevant und »hochgradig verwerflich« sei. Tritschler wirft dem Pressesprecher der AfD-Landtagsfraktion Kris Schnappertz vor, einen studentischen Mitarbeiter unter Druck gesetzt und ihm Jobs angeboten zu haben, wenn er kompromittierendes Material gegen Tritschler weitergibt.

Tritschlers Mitarbeiter ist der 22-jährige Tim Schramm aus Wuppertal. Schramm selbst ist Teil eines AfD-Skandals. Er kämpfte als Freiwilliger auf Seiten der Ukraine gegen Russland und steht dazu. Der »Jungen Freiheit« sagte Schramm etwa, dass er »den Russen-Boomern« in der Partei den »Mittelfinger« zeige. Vor zwei Wochen leitete der Landesvorstand der nordrhein-westfälischen AfD ein Ausschlussverfahren gegen Schramm ein. Eine Selbstverpflichtung, sich bis zum Herbst 2026 nicht an Kampfeinsätzen zu beteiligen oder sich öffentlich dazu zu äußern, unterschrieb Schramm nicht.

Sven Tritschler widerum hatte »nach einer Meinungsverschiedenheit« keinen Kontakt zu seinem Mitarbeiter Schramm. Das habe sich der Fraktionssprecher Kris Schnappertz, ein enger Vertrauter des AfD-Landeschefs Martin Vincentz, versucht, zunutze zu machen. Erst seien Schramm für das kompromittierende Material Jobs angeboten worden, zuletzt, dass man dafür sorgen könne, dass Schramms Parteiausschlussverfahren in einem Vergleich ende. Schramm ging auf diese Angebote nicht ein, sondern lieferte die Informationen an Tritschler, der sein Schreiben auch mit mehreren Screenshots unterfüttert.

Für Tritschler stellt es sich so dar, dass eine Fraktionsmitarbeiterin und Kris Schnappertz gegen ihn intrigiert haben. Welche Abgeordneten sich daran beteiligten, könne er nicht sagen. Zu einer klaren Schlussfolgerung kommt Tritschler dennoch: »Ich habe aus mehreren Gesprächen den Eindruck, dass man mir verübelt, dass ich mich nicht dem ›Dschihad‹ gegen Teile der Partei anschließe, der unseren Landesverband seit Monaten lähmt und zerstört«, und weiter, dass es wohl ausreiche, um »als Feind« markiert zu werden, wenn man nicht der Linie »von oben« folge. Eine klare Schuldzuweisung in Richtung des Landeschefs Martin Vincentz.

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Vincentz ist an allerlei Konflikten in der Partei beteiligt. Gegen den stramm völkischen Bundestagsabgeordneten Mathias Helferich führt der Landesvorsitzende eine Dauerfehde. Kürzlich wurde Helferich in einem fragwürdigen Verfahren vom Landesschiedsgericht aus der Partei ausgeschlossen. Außerdem hält Vincentz am Landtagsabgeordneten Klaus Esser fest, dem verschiedenste Betrügereien vorgeworfen werden. Jüngst unterstützte Vincentz im Düsseldorfer Kreisverband das Vorgehen von Kris Schnappertz, der die Liste der AfD zur Ratswahl anzweifelte, ein Streit, der beinahe dazu geführt hätte, dass die Partei in der Landeshauptstadt nicht zu den Kommunalwahlen antritt.

Sven Tritschler gibt sich jedenfalls selbstkritisch. Er habe »dem Treiben gewisser Personen in unserer Fraktion zu lange untätig zugesehen, in dem falschen Glauben, dass es mich ja nicht beträfe«. Heute sei er klüger. Mit Pressesprecher Schnappertz möchte Tritschler nicht mehr zusammenarbeiten. Jede Vertrauensgrundlage für eine weitere Zusammenarbeit sei »zerstört«. Schnappertz dürfe nicht mehr in seinem Namen sprechen und er lade die Fraktionskolleg*innen dazu ein, es ebenfalls so zu handhaben. Andere Beteiligte an der Intrige wolle er nach dem Sommerurlaub nicht mehr »auf dem Fraktionsflur antreffen« müssen.

Die Spitze der AfD-Landtagsfraktion will das Schreiben Tritschlers nicht kommentieren. Der »Spiegel« berichtet, dass Schnappertz in einer Messenger-Gruppe der Fraktion eine Stellungnahme angekündigt habe, danach habe er allerdings die Chat-Gruppe verlassen. Dass der Pressesprecher sich im Amt halten kann, ist äußerst unwahrscheinlich. Spannender wird die Frage, welchen Schaden Landeschef Martin Vincentz nimmt. Bisherige Streitereien überstand Vincentz, aber in Teilen der AfD-Spitze steht sein Führungsstil schon länger in der Kritik. Mit Sven Tritschler hat er sich nun einen starken Feind gemacht. Und das zur Unzeit, wenn es im September im Landtag wieder losgeht und der Streit geklärt werden muss, stehen in NRW die Kommunalwahlen an.

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