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Globale Antwort auf ein globales Problem
Nils Dietrich über den Ausbau der Gasindustrie unter Schwarz-Rot
Mit dem Klimaschutz ist es eigentlich ganz einfach: bestehende Emissionsquellen so schnell wie möglich loswerden und schon gar keine neuen bauen. Trotzdem ist Schwarz-Rot fest entschlossen, so schnell wie möglich neue Gaskraftwerke zu bauen – fossile Dreckschleudern, die den Kohlekraftwerken in nichts nachstehen. Gerechtfertigt wird das damit, dass die Gaskraftwerke eines Tages klimaneutral mit Wasserstoff betrieben werden könnten.
Dass sich Staaten und Finanzkapital bei ihren immer fortwährend neuen Investitionen in fossile Brennstoffe mit fadenscheinigen technologischen Versprechungen herausreden, ist altbekannte Taktik. Nach dem Kyoto-Protokoll 1997, als sich die Fossillobby zum ersten Mal durch Rufe nach Klimaschutz verunsichert fühlte, schwor sie plötzlich auf CCS-Filtertechnologien, die sich eines Tages auf die Schornsteine von fossilen Kraftwerken stülpen ließen. Die EU investierte daraufhin Milliarden in entsprechende Projekte, von denen dann aber eins nach dem anderen vorzeitig abgebrochen wurde, weil jeglicher Erfolg ausblieb.
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Dass trotz des erfolgreichen Ausbaus Erneuerbarer Energien auch neue Gaskraftwerke gebaut werden sollen, wird mit einer unbequemen Eigenschaft der Erneuerbaren begründet: Sie können nicht durchgehend Strom erzeugen, sondern schwanken mit Wind und Sonnenlicht. Die Gaskraftwerke sollen vor allem dann laufen, wenn die Erneuerbaren weniger Strom produzieren.
Aber sind die Schwankungen der Erneuerbaren wirklich so problematisch? Wäre es nicht möglich, sich den Zyklen von Wind und Sonne ein wenig anzupassen, indem wir die Arbeit in besonders energieintensiven Bereichen in bestimmten Phasen ruhen lassen? Um gut im Einklang mit der Natur zu leben, muss der Mensch sich nun mal zumindest ein Stück weit nach ihr ausrichten.
Nils Dietrich studiert Soziologie und arbeite an verschiedenen sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekten zu Ökologie und Nachhaltigkeit mit.
Die Kapitalakkumulation folgt ihrem ganz eigenen Zyklus aus Überproduktion und Krise, der sich schwerlich nach dem Zyklus der Natur ausrichten lässt. Ein schwankendes Produktionsvolumen ist in der Schwerindustrie keine Seltenheit, hat aber eigene Gründe – Rezessionen, Auftragseinbrüche, Lieferstopps und fragile Lieferketten aufgrund von Konkurrenz und Rangelei der großen Weltmächte. Die Anarchie des freien globalen Marktes folgt ihrer eigenen Logik aus Unsicherheit und Schwankung. Und eine Energieversorgung, die Deutschland wettbewerbsfähig macht, muss sich dem anpassen können, nicht umgekehrt. Wirklich mit den Erneuerbaren Energien kompatibel wäre nur eine Produktionsweise, die nicht dieser Logik folgt.
Ein Großteil der lokalen Schwankungen bei den Erneuerbaren Energien ließe sich auch ausgleichen durch eine bessere Zusammenarbeit im Ausbau eines internationalen, potentiell sogar Kontinente übergreifenden Stromnetzes. Gerade die Erneuerbaren sind wahrhaft internationalistisch, denn wenn bei uns keine Sonne scheint, dann eben woanders. Und umgekehrt.
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Wer uns das klimasündige Flüssiggas liefert, ist austauschbar. Mit wem und wie wir aber unser internationales Stromnetz ausbauen, dagegen weniger. Das schweißt zusammen, im buchstäblichen wie übertragenen Sinne, und könnte eine globale Antwort auf ein globales Problem sein.
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