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- Darts im Gleisdreieck-Park
Mit der Dartscheibe quer durch Berlin
Während die Profis in ausverkauften Hallen spielen, trifft man Hobby-Dartspieler jetzt auch im Berliner Gleisdreieck-Park
Mit einer mobilen Dartscheibe im Gepäck trifft man ganz leicht neue Leute. Besonders am Wochenende, besonders in Berlin. Als mein Bruder Jacob am Freitagabend kommt, um sich die Scheibe bei mir in Lichtenberg abzuholen, helfe ich ihm, die Dreibein-Konstruktion zum S-Bahnhof zu tragen. »Ich hätte meine Pfeile dabei«, ruft uns ein junger Mann vom Straßenrand entgegen. Da hatten wir gerade erst meine Wohnung verlassen. Seine Herausforderung lehnen wir erst einmal ab. Schließlich haben wir morgen ein großes Turnier vor uns: unsere allererste Team-WM.
Als ich am Folgetag, gegen 18 Uhr, am Berliner Gleisdreieck ankomme, hüllt die Sonne den gesamten Park in ein orangefarbenes Licht. Der Duft von frischem Gras liegt in der Luft. Mein Bruder hat die Dartscheibe bereits aufgebaut. Daneben liegen zwei große karierte Picknickdecken, darauf einige Taschen, Rucksäcke und kalte Getränke. Zwei WM-Teilnehmer werfen bereits ein paar Übungspfeile. Zwei andere gönnen sich das erste Kaltgetränk des Abends. »In der U-Bahn haben wir fast noch zwei neue Spieler gefunden«, erzählt mein Bruder. »Die haben unsere Scheibe gesehen und waren drauf und dran, ihre Abendpläne zu ändern«, lacht er. Nach und nach trudeln auch die restlichen Spieler und Spielerinnen unserer Hobby-Weltmeisterschaft ein, bis alle zwölf von uns da sind.
Danach wird gelost: Ich spiele in einem Team mit Robin. Ein Blick auf unsere Weltrangliste lässt uns direkt als Mitfavoriten auf den Turniersieg erscheinen. Immerhin bin ich amtierender Weltmeister und die Nummer drei unserer internen Rangliste, die sich aus den Ergebnissen der letzten zwei Turnierjahre zusammensetzt. Dabei zählen natürlich nur die Turniere, die von uns, der Wendland Darts Corporation (WDC), veranstaltet werden. Die namentliche Nähe zur Profiliga Professional Darts Corporation (PDC) ist selbstverständlich reiner Zufall. Robin ist zwar nur Neunter der Weltrangliste, jedoch fehlen drei vor ihm Platzierte.
Für den Ausflug in den Gleisdreieck-Park haben wir uns ein neues Format überlegt. Zum ersten Mal spielen wir eine Team-WM – obwohl es unsere WDC schon über elf Jahre gibt. 2014 begeisterte uns die WM im Fernsehen so sehr, dass wir unser eigenes Turnier spielen wollten. In Anlehnung an den Ally Pally, den großen Saal im Alexandra Palace in London, in dem die Profis um den WM-Titel kämpfen, tauften mein Bruder und ich unser Kinderzimmer in den Nilly Pally – den Nilius Palace – um, benannt nach uns selbst. Erst seit wir in Berlin leben, spielt die WDC auch in der Hauptstadt und immer seltener in unserer Heimat, dem Wendland, das unserem inoffiziellen Dartverband den Namen gab.
Leider werden Robin und ich unserer Favoritenrolle nicht gerecht. Wir verlieren beide Gruppenspiele und scheiden als erstes Team aus dem Turnier aus. Auch Alex, der Weltranglistenerste, scheidet mit seinem Team bereits in der Gruppe aus. Vielleicht machen sich die ungewohnten Bedingungen unter freiem Himmel doch stärker bemerkbar als gedacht. Zwischenzeitlich muss das Turnier sogar komplett unterbrochen werden, weil ein Junggesellenabschied direkt neben uns etwas zu lebhaft wird. Mit Mikrofon und Lautsprecher ausgestattet, kommentiert ein Partygast unsere Würfe. Das ist kurz lustig und fängt dann doch schnell an zu nerven. Zum Glück gelingt es uns, den Moderator mit etwas Überzeugungsarbeit gekonnt abzumoderieren.
Doch auch danach werden die äußeren Bedingungen nicht unbedingt einfacher. Die Sonne geht langsam unter und spendet immer weniger Licht, um die Dartscheibe gut zu erkennen. Jetzt ist es höchste Zeit fürs Halbfinale. »Please welcome: The record breaking, history making, five-time champion of the wooooorld!!«, schreie ich in den Park hinein und bekomme dafür sogar vom Junggesellenabschied neben uns anerkennende Blicke. Das Walk-on ab der K.-o.-Runde gehört selbstverständlich zu einer WM dazu. Alle ausgeschiedenen Teams bilden ein Spalier, mein Bruder Jacob stolziert mit seiner Teamkollegin Luisa zu »Alles neu« von Peter Fox hindurch, bis sie vorne an der Dartscheibe stehen.
Das anschließende Halbfinale gegen Cara und Marek wird zu einer Nervenschlacht. Beide Teams zeigen im Check-out Nerven. Marek und Cara brauchen die Vier, Jacob und Luisa haben sieben Punkte Rest. Beim Darts muss die genaue Punktzahl geworfen werden, bei höheren Punktzahlen »überwerfen« die Teams also ihren Restpunktestand. Alle verfehlen ihr Ziel nacheinander. »Es ist so krass, wie groß der Druck bei einem solchen Turnier dann am Ende wird«, sagt Cara. Ihre Arme wackeln, die Finger zittern, wenn der Dart ihre Hand verlässt, und die Pfeile gehen immer weiter an der Vier vorbei. Luisa und Jacob haben mit der Sieben ebenfalls zu kämpfen – bis Jacob sie endlich trifft. Wurde auch Zeit.
Das zweite Halbfinale ist deutlicher: Annika, die behauptet, sie habe »noch nie Darts gespielt«, legt im Scoring vor und lässt das Spiel schnell in Richtung ihrer Mannschaft laufen. Ihre Gegner sind chancenlos. Ein weiterer Hinweis darauf, dass es vielleicht gar nicht so schlecht ist für eine Outdoor-WM, wenn man gar nicht weiß, wie sich das Dartspielen drinnen anfühlt. Denn im Kreuzberger »Gleisi« ist die Sonne inzwischen untergegangen. Die Zahlenfelder auf unserer Scheibe sind gerade noch so zu erkennen.
Einer Spielerin macht das im großen WM-Finale allerdings gar nichts aus: Luisa lässt sich weder von der sommerlichen Dämmerung noch von dem Dutzend Menschen um sie herum aus der Ruhe bringen. »73 Rest«, sage ich und zeige ihr vor dem Wurf noch einmal den Spielstand auf meinem Handy. Keine Reaktion, keine Regung – Anspannung: Fehlanzeige. Sie wirft den ersten Pfeil und trifft die Doppel-Vier. 65 Rest. Wieder keine Reaktion. Die 20-Jährige lässt sich bei ihrer ersten Turnierteilnahme von nichts aus der Ruhe bringen. Sie wirft zum zweiten Mal: acht. 57 Rest. Der nächste Wurf könnte der letzte des Abends sein. Luisa, braune Kappe auf dem Kopf, das schwarze T-Shirt auf der einen Seite nach oben geknotet, zielt, wirft und trifft: die Triple-19! 57 Punkte, Check-out geschafft! Ihr Wurf macht sie zur Weltmeisterin, gemeinsam mit Jacob.
Nach einer kurzen Siegesfeier geht es nach Hause. Dabei wird die Rückfahrt mit dem Dartgestell um 23 Uhr in der überfüllten U3 zur Warschauer Straße zu einer echten Herausforderung. Die schwere Dartscheibe auf ihrer Dreibeinkonstruktion nimmt deutlich zu viel des begrenzten Platzes ein. Ich verbringe die Fahrt über sieben Stationen eingeklemmt zwischen Scheibe und U-Bahn-Wand. In der S-Bahn Richtung Lichtenberg ist dann mehr Platz. Dort gibt es wieder Anerkennung. »Das können wir auch mal machen, eine Dartscheibe mitnehmen«, sagt eine Frau zu ihrem Begleiter.
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