»Essen soll helfen – nicht stressen«

Ernährungswissenschaftlerin Juliane Heidenreich über Kohlenhydrate, Rote Bete, Pasta und das Vertrauen in den eigenen Körper

Triathlon-Fastfood: Halbe Bananen an einem Verpflegungsstand
Triathlon-Fastfood: Halbe Bananen an einem Verpflegungsstand

Frau Prof. Heydenreich, ich werde im September an meinem ersten Triathlon teilnehmen – als absoluter Anfänger – und frage mich: Was wäre der größte Fehler in meiner Ernährung auf dem Weg dorthin?

Wenn es Ihr erster Triathlon ist, dann würde ich nicht allzu viel experimentieren. Also keine ketogene Diät oder Intervallfasten ausprobieren. Lieber an klassischen Ernährungsempfehlungen für Ausdauersport orientieren: kohlenhydratbetont, gut verteilt rund ums Training und nicht zuletzt: regelmäßig und bewusst essen.

Was bedeutet »klassisch«? Heißt das: viele Kohlenhydrate? Und wie viel ist zu viel?

Es kommt ganz auf Trainingsumfang und -intensität an. Wenn Sie primär im Grundlagenausdauerbereich trainieren, spielen Kohlenhydrate eine untergeordnete Rolle. Sobald intensive Einheiten dazukommen – zum Beispiel ein Halbmarathon oder Intervalltraining –, steigt ihr Stellenwert. Für Freizeitsportler empfehlen sich rund 50 bis 55 Prozent der Gesamtenergiezufuhr durch Kohlenhydrate. Das ist mehr als der Durchschnitt, aber nicht übertrieben.

Und Eiweiß? Viele Hobbysportler greifen da ja schnell zu Shakes oder Riegeln.

In der Regel reicht die normale Zufuhr – Sie müssten es also nicht supplementieren. Als Daumenregel: etwa 1,2 bis 1,5 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag. Das hilft vor allem bei langen, weniger intensiven Einheiten, um Muskelabbau zu vermeiden.

Juliane Heydenreich

Seit 2023 ist Juliane Heydenreich Professorin für Experimentelle Sporternährung an der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Sie beschäftigt sich mit den Zusammenhängen von Ernährung, körperlicher Belastung und Leistungsfähigkeit – insbesondere im Ausdauersport.

Wie wichtig ist das Timing beim Essen – gerade, wenn man mehrere Einheiten pro Tag hat?

Sehr wichtig! Gibt es weniger als 24 Stunden zwischen zwei Trainings, beginnt die Regeneration direkt nach der ersten Einheit. In den ersten zwei Stunden – im »Open Window« – ist der Körper besonders aufnahmefähig. Ziel: Kohlenhydrate auffüllen, Flüssigkeit ersetzen, eine Proteinquelle zuführen. Eine Banane, ein Sportgetränk und ein kleiner Snack reichen oft aus – Hauptsache: nicht erst nach Duschen, Heimweg und Kochen damit anfangen, das könnte schon zu spät sein.

Und davor? Sollte man nüchtern trainieren – Stichwort Fettverbrennung – oder lieber vorher etwas essen?

Das hängt vom Trainingsziel ab. Geht es um Fettstoffwechsel – z. B. lockerer Frühsport –, dann gern nüchtern. Aber bei intensiven Einheiten ist eine kohlenhydratreiche Mahlzeit vorher sinnvoll, sonst fehlt die Power.

Sie empfehlen also ein »Mischmodell«: mal nüchtern, mal vollgetankt.

Genau. Nüchterntraining hat Vorteile, aber auch Grenzen. Wer beispielsweise häufiger trainiert oder an seine Leistungsgrenze geht, sollte auch die Speicher füllen. Kohlenhydrate bleiben der wichtigste Treibstoff für Sportler.

Wann und wie sollte man während des Trainings trinken? Nur Wasser oder mehr?

Wasser ist gut – aber nicht immer genug. Je nach Intensität und Dauer des Trainings (ab etwa 60 Minuten) verliert man nicht nur Flüssigkeit, sondern auch Elektrolyte, vor allem Natrium. Wer dann nur Wasser trinkt, riskiert im Extremfall eine Hyponatriämie – eine sogenannte Wasservergiftung. Also am besten ein natriumreiches Wasser oder einfach eine Prise Salz ins Getränk geben.

Stichwort Carboloading – bringt das etwas vor einem Wettkampf? Die Kohlenhydratzufuhr erhöhen und gleichzeitig die Trainingsintensität reduzieren?

Ja, sofern man es richtig macht. Zwei Tage vor dem Wettkampf gezielt viele Kohlenhydrate essen – aber ballaststoffarm, damit der Darm am Renntag nicht belastet ist. Da dürfen es ruhig auch mal Weißbrot, Gummibärchen oder klassische Pasta sein – ohne Sahnesoße, dafür gut verdaulich.

Gibt es Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel, die Sie grundsätzlich empfehlen?

Grundsätzlich gilt: food first. Also möglichst alles über normale Lebensmittel decken, da kann man auch einiges steuern. Rote Bete enthält viel Nitrat, das im Körper zu Stickstoffmonoxid umgewandelt wird. Das wirkt gefäßerweiternd und kann die Sauerstoffversorgung der Muskulatur verbessern. Ein halber Liter täglich – oder konzentrierte Shots – über zwei Wochen vor dem Wettkampf können helfen. Auch Rucola ist übrigens ein guter Nitratlieferant. Bei Nahrungsergänzungsmitteln rate ich zur Zurückhaltung, Vitamin D im Winter ist eine Ausnahme, das wird empfohlen. Aber keine Multivitamin-Präparate auf Verdacht nehmen! Wer einen Verdacht auf Mangel hat – etwa bei Eisen –, sollte das ärztlich abklären und gezielt supplementieren.

Was raten Sie für den Wettkampftag selbst?

Drei bis vier Stunden vorher ein leicht verdauliches, kohlenhydratreiches Frühstück – z. B. Toast mit Honig, eine Banane, ein Porridge. Ein bis zwei Stunden vorher noch ein kleiner Snack. Auf dem Rad kann man gut essen: Gels, Riegel, Banane – je nachdem, was sie vorher getestet haben. Beim Laufen ist es schwerer, also sollte man vorher gut vorbereitet sein. Wichtig: auch Salz nicht vergessen. Salzbrezeln sind unterschätzt!

Nach dem Rennen – was hilft bei der Regeneration?

Flüssigkeit auffüllen, Glykogenspeicher wieder aufladen, moderat Proteine zuführen. Trinken Sie nicht alles auf Ex, sondern schluckweise über 30–60 Minuten. Und ja: Wenn Sie nicht am nächsten Tag wieder trainieren, dürfen Sie sich auch feiern. Ein Bier – alkoholfrei? – ist dann auch erlaubt.

Noch ein letzter Tipp für den Kopf: Wie bleibt Ernährung eine Unterstützung – und wird nicht zur Belastung?

Vertrauen Sie Ihrem Körper. Er gibt Signale. Verbote führen oft zu Heißhunger oder Frust. Wer regelmäßig, vielfältig und ohne Zwang isst, fährt am besten. Essen soll helfen – nicht stressen.

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