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Extremwetter am Mittelmeer: Heiß, heißer, Barcelona
In Spanien werden Hitzewellen, Dürren und Starkregen für Stadtplaner und Architekten zur Herausforderung
Nachmittags um fünf steht die Sonne noch hoch über dem Kinderspielplatz Antoni Santiburcio in Barcelonas Arbeiterbezirk Sant Andreu. Dass am Klettergerüst trotzdem fröhlich ein paar Kinder turnen, verdankt sich den dreieckigen Planen, die mosaikförming über den kleinen Platz gespannt sind. Durch die Perforation fällt Halbschatten auf den Boden, unter ihnen ist es merklich kühler als auf der Straße nebenan. »Wurde auch Zeit, dass hier etwas passiert. Die Hitze hat den Kindern buchstäblich das Gehirn weggebrannt«, sagt Flavia Menéndez und hievt ihre zweijährige Tochter auf die Schaukel. »Gerade jetzt in den Ferien, wo Kitas und Schulen zu sind, müssen die Kleinen doch raus ins Freie.«
Der Spielplatz im Norden der Mittelmeermetropole war der erste von insgesamt 66 Spielplätzen, 15 Schulhöfen und drei öffentlichen Plätzen, die in den letzten Wochen künstliche Schattenspender erhalten haben: Mal sind es schlichte Planen, mal dauerhaft installierte Holzpaneele mit integrierten Photovoltaikanlagen. »Pla Sombra«, »Schattenplan« heißt das 13 Millionen Euro teure Programm. Es ist eines von vielen Mosaiksteinen des städtischen Plans zur Klimaadaption.
In dicht bebauten Städten wird die Hitze besonders schnell unerträglich, denn Baumaterialien wie Beton und Asphalt speichern Wärme viele Stunden. Während auf dem Land oder auf unbebauten Flächen verdunstendes Wasser für Abkühlung sorgt, sind in Städten Straßen und Gehsteige meist mit Asphalt versiegelt. Vom »Wärmeinseleffekt« sprechen Wissenschaftler. Das führt zu gewaltigen Temperaturunterschieden: In Barcelona ist es im Sommer im Schnitt drei Grad wärmer als jenseits der Stadtgrenzen – mit Ausschlägen von bis zu sieben oder acht Grad. Wie dem relativ einfach und effizient entgegengewirkt werden kann, ist bekannt: Böden sollten so großflächig wie möglich entsiegelt werden, indem Grünflächen erweitert oder statt Asphalt Pflastersteine, Bodenfliesen oder Kiessand verlegt werden, sodass auch auf Gehwegen und Straßen Wasser versickern und verdunsten kann. So empfiehlt es Spanien in seinem Plan zur Adaptation an den Klimawandel. Doch bei der Umsetzung kommen viele spanische Städte nur langsam voran. Auch die Notfallpläne für Extremwetter vieler Kommunen seien mangelhaft, so Greenpeace. Die Umweltorganisation hat 2024 die Hitzeprotokolle von 15 spanischen Städten analysiert. Für gut befunden wurden lediglich die von Barcelona und Bilbao, für den Hitzehotspot Madrid konstatierte die NGO ein fehlendes Frühwarnsystem und einen fehlenden Fokus auf sozial Benachteiligte. Am Ende der Liste befindet sich mit Guadalajara in der Region Kastilien-La Mancha eine besonders von Extremhitze bedrohte Stadt.
»Die mobilen Strukturen erlauben uns, dort schnell zu intervenieren, wo es am nötigsten ist«, sagt Irma Ventanyol, Direktorin des städtischen Büros für Klimawandel. »Und das ist dort, wo die Sonneneinstrahlung am höchsten ist und sich besonders viel gefährdete Menschen wie Kinder oder ältere Mitbürger aufhalten.« Natürlich sei es am besten, als natürliche Schattenspender Bäume zu pflanzen. Denn die senken durch Beschattung und Verdunstung nicht nur die Temperatur, sondern verbessern auch die Luftqualität und das Wohlbefinden der Anwohner. Doch in einer so dicht bebauten Stadt wie Barcelona sei das eben leider nicht überall möglich – und dauere oft zu lang. »Bis die Bäume groß genug sind, um Schatten zu spenden, vergehen Jahre – und so lange können wir nicht warten.« Also hat die Stadt im vergangenen Jahr an strategischen Plätzen verschiedene Module ausprobiert und schickt sie jetzt in den Praxistest. Als Sofortmaßnahme gegen die Hitzewellen des spanischen Sommers, denen wohl auch in diesem Jahr wieder das Adjektiv »historisch« vorangestellt werden wird.
Der Juni 2025 war in Barcelona der heißeste Juni seit Beginn der Aufzeichnungen, zum ersten Mal sank an 16 Tagen hintereinander auch nachts die Temperatur nicht unter 25 Grad. Vergangenes Jahr wurde im Juli mit 40 Grad die höchste Temperatur überhaupt gemessen. Seit den 1980er Jahren ist die Durchschnittstemperatur in Barcelona um 1,6 Grad gestiegen. Werden keine radikalen Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels eingeleitet, könnten in Barcelona laut einer Anfang des Jahres in der Zeitschrift »Natur« veröffentlichten Studie bis Ende des Jahrhunderts über 246 000 Menschen wegen der hohen Temperaturen vorzeitig sterben. Das ist mehr als in jeder anderen europäischen Stadt. Als Risikofaktor gilt neben der dichten Bebauung ein mit 21 Prozent relativ hoher Anteil von Menschen über 65 Jahren. Anpassung an steigende Temperaturen tut dringend Not: je schneller, desto besser.
Alle fünf Gehminuten ein Refugium
Angesichts solcher Prognosen wirkt Ventanyol erstaunlich gelassen. »Barcelona gehört zur Avantgarde in Sachen Klimaadaption«, sagt die studierte Biologin und zählt auf: Während andere Städte erst jetzt entsprechende Strategien aufstellen, gibt es in Barcelona bereits seit 2007 abgestufte Protokolle für Hitzewellen – mit Info-Kampagnen, Verhaltenstipps und ausgeweiteter ärztlicher Betreuung. Steigt die Tagestemperatur über 34 Grad und sinkt sie auch in der Nacht nicht unter 26 Grad, stellen die städtischen Krankenhäuser Hitze-Notfallteams auf, Hausbesuche werden ausgeweitet. Ab 38 Grad Tages- und 28 Grad Nachttemperatur werden spezielle Unterkünfte bereitgestellt. Die 1700 öffentlichen Trinkbrunnen sind seit 2013 über eine App lokalisierbar und funktionieren ganzjährig und auch bei Dürrealarm. Seit 2020 weist die Stadt sogenannte Klimarefugien aus: klimatisierte Sportstätten, Bibliotheken, Foyers von Museen und andere öffentlichen Einrichtungen, in denen jede*r kostenlos Abkühlung und Trinkwasser findet. 400 solcher mit einem Schild ausgewiesenen Refugien gibt es in Barcelona. Das Netz wird laufend ausgebaut. Bis 2035 soll jede Bewohnerin und jeder Bewohner innerhalb von fünf Gehminuten Zuflucht vor der Hitze finden, derzeit sind es noch zehn Minuten. Die Idee wird inzwischen auch von anderen spanischen Städten kopiert.
Und dann natürlich: Von Amts wegen Schatten spenden, Abkühlung schaffen, wo immer es geht. Als im Frühsommer am ehemaligen Verkehrsknotenpunkt Glòries ein neuer, neun Hektar großer Stadtpark eingeweiht wurde, verwies die Stadt stolz auf die 1000 neu gepflanzten Bäume, die futuristischen Pergolas und den Zuwachs an unversiegelten Flächen. Bei der Anlage von neuen Plätzen ersetzen immer häufiger Kiessand oder Bodenfliesen den Asphalt; neue Fahrradwege werden, wo möglich, von Grünstreifen flankiert. »Bei jeder städtebaulichen Maßnahme denken wir den Faktor Hitze mit«, sagt Ventanyol.
Bis Ende des Jahrhunderts könnten in Barcelona über 246 000 Menschen wegen der hohen Temperaturen vorzeitig sterben.
Die Idee, der Hitze von Amts wegen mit städtebaulichen Maßnahmen zu Leibe zu rücken, ist nicht neu: In Málaga lässt die Stadt seit vielen Jahren die Fußgängerzone Calle Larios mit quer über die Straße gespannten Planen beschatten, um fünf Grad sinke dadurch die gefühlte Temperatur, heißt es aus dem Rathaus. Auch in Sevilla wandelt man im Sommer im Stadtzentrum unter Paneelen. Doch während in den andalusischen Städten vor allem die touristisch und kommerziell interessanten Straßen beschattet werden, implementiert Barcelona seinen Hitzeplan nach sozialen Kriterien.
Sowohl bei der Auswahl der Klimarefugien als auch beim Begrünen oder Beschatten von öffentlichen Plätzen wird zuerst in Vierteln agiert, wo Menschen mit einem eher niedrigeren sozioökonomischen Standard leben. Tendenziell ist die Bebauung in diesen Vierteln dichter; es entstehen schneller sogenannte Wärmeinseln, in denen sich Hitze staut. Eine Klimaanlage und die damit verbundenen Betriebskosten können sich nur wenige leisten, die Gebäude sind nur unzureichend wärmeisoliert. »Wer ärmer ist, leidet im Durchschnitt stärker unter Extremwettern als Wohlhabende«, so Ventanyol. »Da müssen wir als Stadt intervenieren.«
Fehlende Dämmung ist aber nicht nur in sozialen Brennpunkten ein Problem. Laut einer Studie der Universidad Politécnica de Cataluña werden 2050 neunzig Prozent des Wohnungsparks in Spanien nicht ausreichend gegen die steigenden Temperaturen isoliert sein. Der Platz für nach Klimakriterien konzipierte Neubauten ist in Städten wie Barcelona eng begrenzt, Anpassung an Extremtemperaturen geht hier nur über Investitionen in Rehabilitation. Neun Milliarden Euro sollen in den nächsten Jahren spanienweit für klimaneutrale Rehabilitationsmaßnahmen in Wohnungen ausgegeben werden, dazu kommen weitere 15 Milliarden für verbesserte Dämmung an Gebäuden. »Die meisten Menschen denken, dass sich Klimaadaption auf ›mehr Grün‹ beschränkt«, sagt Ventanyol. »Aber die Dämmung von Gebäuden ist mindestens genauso wichtig, auch weil dadurch die Emission von Treibhausgasen reduziert werden kann.«
Grüne Stadtplanungsprojekte gestoppt
Trotz der vorzeigbaren Ergebnisse beim Thema Adapation: In Sachen Mitigation, also dem Senken von klimaschädlichen Emissionen, ist noch Luft nach oben. Das sagt zumindest die Opposition. Sie kritisiert, dass der regierende Bürgermeister Jaume Collboni von den katalanischen Sozialisten, dem Pendant der deutschen SPD, die geplante Erweiterung des Flughafens unterstützt. Als »unverantwortlichen Unfug« bezeichnet die Vorsitzende der linksalternativen Barcelona en Comú den Plan. Auch das viel gerühmte Programm der sogenannten »Superblocks« wurde gestoppt. Die Idee, die Stadt mittels »grüner Achsen« in ein Netz aus verkehrsberuhigten Gevierten zu verwandeln und den motorisierten Verkehr auf wenige Straßen zu beschränken, hatte Barcelona weltweit den Ruf als Avantgarde in Sachen grüner Stadtplanung eingebracht.
Wer im großbürgerlichen Stadtbezirk Eixample über die drei Kilometer lange Consell de Cent-Straße flaniert, eine von vier der bisher angelegten »grünen Achsen«, bekommt eine Ahnung davon, wie so eine Stadt hätte aussehen können: Auf den ehemaligen Kreuzungen blühen üppig Kräuter und Gräser. Wo früher Autos parkten, stehen Tische und Bänke, an denen sich Anwohner und Angestellte aus den umliegenden Geschäften zum Mittagsimbiss treffen. Doch nach erfolgreichen Klagen des Einzelhandels sollen vorerst keine neuen Straßen verkehrsberuhigt werden. Stattdessen will man Innenhöfe begrünen.
Natalie Müller vom Forschungszentrum für globale Gesundheit IS Global bedauert das. Denn der Klimanutzen des Projekts war unumstritten: 700 Hitzetote hätten jährlich durch die Ausweitung des Konzepts auf die ganze Stadt vermieden werden können, so heißt es in einer von ihr miterarbeiteten Studie. »Laut unseres Modells wären die Emissionen um fast 25 Prozent und die Lärmbelastung um fünf Prozent zurückgegangen – und die Durchschnittstemperatur im gesamten Stadtgebiet um ein Grad gesunken«, sagt Müller. Auch wenn die Stadtverwaltung weiter Bäume auf Plätzen und am Straßenrand pflanzen lässt: Wird der Verkehr dadurch nicht reduziert, entfällt der Mitigationseffekt.
Immerhin: An der Strategie »Mehr Grün« hält die Stadtverwaltung fest. Auch unter Extremwetterbedingungen: Als im vergangenen Jahr der Dürrenotstand ausgerufen wurde und Privathaushalte, Industrie und öffentliche Einrichtungen Wasser sparen mussten, blieb die Bewässerung von Bäumen davon ausgespart. Als wichtige Infrastruktur erklärte man den Erhalt der Bäume zur Priorität.
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