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Ungleichheit der Renten

Der Vorschlag eines Boomer-Solis eröffnet die Debatte um soziale Gerechtigkeit bei Altersbezügen

Unbeschwert den Ruhestand zu genießen, ist nicht jedem vergönnt.
Unbeschwert den Ruhestand zu genießen, ist nicht jedem vergönnt.

Als das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kürzlich einen »Boomer-Soli« verschlug, entfachte es eine heftige Rentendiskussion. Es geht um eine Sonderabgabe, die auf alle Alterseinkünfte ab einer gewissen Höhe erhoben werden soll. Einbezogen wären auch Beamte, deren Altersbezüge im Regelfall deutlich höher liegen als die in der gesetzlichen Rentenversicherung, sowie Freiberufler und Selbstständige. Der Boomer-Soli ließe sich unmittelbar umsetzen, und jüngere Generationen würden nicht belastet, sagen die Berliner Wirtschaftsforscher. Vor allem könnte er die finanzielle Lage einkommensschwacher Rentnerhaushalte deutlich verbessern: Das unterste Fünftel würde über zehn bis elf Prozent mehr Geld verfügen. Für die reichsten 20 Prozent der Rentnerhaushalte bedeutete der Soli hingegen nur ein Minus von drei bis vier Prozent ihres Nettoeinkommens.

Das unternehmensnahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hält nichts von dem Vorschlag: Es warnt vor möglichen Fehlanreizen und ungerechten Belastungen etwa von Menschen, die hart und lange gearbeitet hätten. Politikberater Bert Rürup, »Erfinder« der nach ihm benannten Basisrente, warnt vor der Gefährdung langfristiger Vorsorge, die notwendig sei, um das Rentensystem zu sichern.

DIW-Chef Marcel Fratzscher sieht es hingegen pragmatisch: »Das Armutsrisiko unter Rentnern ist heute schon hoch und wird in den nächsten Jahren massiv steigen. Wenn wir dagegen etwas tun wollen, muss das jemand bezahlen.« Wer finanziell gut dastehe, solle diejenigen unterstützen, die im Alter kaum über die Runden kommen.

Die Ungleichheit der Renten ist unumstritten. Und sie hat viele Facetten. Immer mehr (einkommensstärkere) Rentner und Rentnerinnen müssen eine Steuererklärung abgeben. In diesem Jahr werden laut Bundesfinanzministerium rund 6,5 Millionen der etwa 22 Millionen Senioren Einkommensteuer zahlen.

Generell erleben die Deutschen einen Ruhestand ohne Geldsorgen lediglich, wenn sie Beamte waren, Einkünfte aus Privatvorsorge haben oder eine hohe Betriebsrente kassieren. Dies geht aus diversen Berichten der Bundesregierung sowie der Studie »Alterssicherung in Deutschland« hervor, die das Sozialministerium erstellen ließ.

Was sich dem Statistik-Wust ebenfalls entnehmen lässt: Männer haben mit durchschnittlich 1295 Euro je Monat (2022) eine deutlich höhere Netto-Altersrente als Frauen (863 Euro). Bei diesem sogenannten Rentenzahlbetrag sind die Eigenbeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bereits abgezogen.

Doch solche Durchschnittswerte sagen nichts über die Verteilung aus. So erhält die Hälfte der Männer weniger als 1200 Euro, jeder fünfte Mann und jede dritte Frau erhielten monatlich sogar weniger als 600 Euro. Andere kassieren deutlich mehr: Jeder fünfte Mann, aber nur drei(!) von hundert Frauen bekommen eine hohe gesetzliche Altersrente von mehr als 1800 Euro je Monat. Eine ganz kleine Gruppe deutscher Ruheständler bezieht sogar eine gesetzliche Rente, die 3000 Euro übersteigt. Seit der Rentenerhöhung im Juli beträgt die maximale Rente übrigens 3572 Euro brutto, also vor Steuern.

Auch wenn die gesetzliche Rentenversicherung gerne schlechtgeredet wird – mit rund 70 Prozent aller Bruttoleistungen aus Alterssicherungssystemen spielt sie nach wie vor die wichtigste Rolle. Den zweitgrößten Anteil hat die Beamtenversorgung mit 19 Prozent, gefolgt von der betrieblichen Altersversorgung mit zehn Prozent.

Ein Hauptgrund für Ungleichheit bei den lebenslangen Renten ist die unterschiedliche Lebenserwartung, wie das Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock anhand historischer Daten ermittelt hat. Menschen mit besserem Bildungsniveau und höherem Einkommen besitzen eine längere Lebenserwartung und haben mehr Jahre vor sich, in denen sie Rente beziehen werden. Obwohl diese Ungleichheit größer sei als beispielsweise die Lohnunterschiede, werde sie nur selten genau untersucht.

Dies wirft ganz neue Fragen auf, die bei der Grundsatzdebatte in der Bundesregierung über das Rentensystem der Zukunft bisher nicht auftauchen. Während insbesondere CDU-Politiker durch weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung zusammenstreichen wollen, möchten Sozialdemokraten durch Einbeziehen gut verdienender Beamter und Selbstständiger die Einnahmesituation verbessern. Mit dem DIW-Vorschlag des Boomer-Solis ist hingegen eine neue Gerechtigkeitsdebatte eröffnet mit der Kernfrage: Was tun gegen die Ungleichheit bei Renten?

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