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Todestag von Mouhamed Dramé: Drei Jahre, kein Vergessen

Drei Jahre nach seinem Tod erinnert ein Solidaritätskreis an Mouhamed und weitere Opfer von Polizeigewalt

  • Friedrich Kraft
  • Lesedauer: 4 Min.
War das erste Mal persönlich am Tatort: Lassana Dramé, der Bruder Mouhameds.
War das erste Mal persönlich am Tatort: Lassana Dramé, der Bruder Mouhameds.

Eine Mahnwache am Kurt-Piehl-Platz in der Dortmunder Nordstadt. Seit drei Jahren veranstaltet hier der Solidaritätskreis »Justice4Mouhamed« monatlich Gedenkkundgebungen. Rund 200 Menschen versammeln sich hier am frühen Freitagabend, um Mouhamed Lamine Dramé zu gedenken. Drei Jahre ist es her, dass unweit von hier am 8. August 2022 fünf Kugeln aus der Pistole eines Polizisten das Leben des jungen Senegalesen auslöschten.

Von diesem Platz aus hatten nur einen Tag später wütende Spontanproteste begonnen. Heute sind weniger gekommen als bei den folgenden Großdemonstrationen – trotzdem versammelt sich am dritten Todestag von Mouhamed mehr als der harte Kern: Wer hier steht, hat tief in den Abgrund polizeilicher Gewalt und juristischer Auseinandersetzungen geblickt. Mindestens seit dem Tag, an dem Mouhamed getötet wurde – manche der Anwesenden kämpfen seit Jahrzehnten für Gerechtigkeit.

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Auch zwei Brüder Mouhameds, Sidy und Lassana Dramé, sind wieder da. Zum zweiten Mal zum Jahrestag jenes Moments, der das Leben ihrer Familie für immer verändert hat. Anfang 2024 kamen sie nach Dortmund, um am Gerichtsprozess gegen die beteiligten Polizist*innen als Nebenkläger teilzunehmen – juristisch und persönlich lernten sie die Kälte des deutschen Rechtssystems kennen.

In den ersten Tagen nach den Schüssen auf Mouhamed gründete sich der Solidaritätskreis, der die Familie politisch begleitet, Kundgebungen organisiert und sich mit anderen Initiativen vernetzt. »Heute geht es vor allem um Mouhamed – aber auch um alle anderen Opfer von Polizeigewalt«, erklärt ein Moderator. Auf dem Boden vor ihm liegen Plakate mit Namen und Schicksalen. Auch Lisa Grüter, seit Spätsommer 2022 Anwältin der Familie, ist vor Ort: »Seit ihrer Einreise zum Prozessstart versuche ich bestmöglich an ihrer Seite zu sein«, erklärt sie.

Man umarmt sich, weint, lacht. Die Familie wünscht sich ausdrücklich, das Gedenken mit Musik und gemeinsamem Essen zu verbinden. »Es ist wichtig, auch sein Leben zu feiern«, betonen Redner*innen immer wieder. Zwischen den Teilnehmer*innen sind auch Borussia-Dortmund-Fans, die mehrfach Spruchbänder für Mouhamed auf der Südtribüne zeigten. Lassana, wie man hört, mittlerweile selbst eingefleischter Borusse, trägt stolz seine schwarz-gelbe Umhängetasche: »Der BVB und seine Fans – das ist für mich mein anderes Leben hier. Mein gutes Leben neben all der Schwere«, sagt er gegenüber dem »nd«.

Oury, Mouhamed, Nejib – langer Atem wird benötigt

Sprechen über den Kampf für Aufklärung: Mamadou Saliou Diallo (2. v.l.) und Lassana Dramé (rechts)
Sprechen über den Kampf für Aufklärung: Mamadou Saliou Diallo (2. v.l.) und Lassana Dramé (rechts)

Höhepunkt der Kundgebung ist eine Podiumsdiskussion: Perspektiven aus zwei Jahrzehnten Kampf um Aufklärung. Neben den Brüdern Dramé sitzt Mamadou Saliou Diallo, Bruder von Oury Jalloh, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte. Viele nennen es heute einen Mord. Wer das tut, läuft Gefahr von jener Justiz angeklagt zu werden, die es in 20 Jahren nicht schaffte, die Todesumstände lückenlos aufzuklären. »Wenn nicht so viele Menschen solidarisch wären, würde ich nicht hier sitzen«, erklärt Diallo. Eines jedoch macht er deutlich: Die aktivistische Arbeit könne nicht ohne den Fokus auf die Familien selbst geschehen; man müsse ihnen noch mehr zuhören als bisher, sonst bleibe die Unterstützung lediglich moralisch.

Dann spricht Siggi, ein enger Freund von Nejib Boubaker. Sein Verlust ist noch ganz frisch, ebenso wie der Schock über den juristischen Umgang mit dem Geschehen. Im März dieses Jahres erschoss die Polizei den 70-jährigen Epileptiker in Dortmund-Scharnhorst. Am Mittwoch erklärte die Staatsanwaltschaft Dortmund, dass es in dem Fall nicht zu einem Gerichtsprozess kommen wird – die Ermittlungen wurden eingestellt.

Weniger gewiss ist der juristische Ausgang im Fall Mouhamed Dramé: Das Landgericht Dortmund sprach die beteiligten Polizisten in der ersten Instanz frei – sie hätten irrtümlich geglaubt, in einer Bedrohungssituation zu sein. »Erlaubnistatbestandsirrtum«, das Wort so verworren, wie die rechtliche Konstruktion, die zu den Freisprüchen führte. Staatsanwaltschaft und Nebenklage sehen das anders; die Revision läuft beim Bundesgerichtshof. Die Brüder erleben derweil die langsamen Mühlen der Behörden: Seit mehr als einem Jahr ohne Arbeitserlaubnis zum Warten verurteilt, angewiesen auf Spenden die der Solidaritätskreis weiterhin online sammelt.

Am Ende des Abends geht Lassana Dramé zur Missundestraße. Erstmals dorthin, wo es geschah. Er steht allein vor dem Zaun, vor der kleinen Tafel mit dem eingravierten Namen seines Bruders. Eine Blume – natürlich schwarz-gelb – hinterlässt er hier. Man merkt ihm an, dass er hier nicht lange verweilen kann.
Als die Sonne hinter den Häusern versinkt, bleibt dieser Moment: Ein stiller Schwur, dass erinnern auch kämpfen heißt.

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