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Nach Urteil gegen Antifaschistin: Solidemo für Hanna S.
In Nürnberg protestieren 1500 Menschen gegen das Vorgehen der Justiz im sogenannten Budapest-Kompex
Die Moderatorin gab den Ton auf der Demo am Samstag in Nürnberg vor. Man dürfe sich, so ihre Ansage vom Lautsprecherwagen, »nicht einschüchtern lassen, uns nicht beugen dieser Repression, die uns klein machen will«. Sie nahm damit Bezug auf den Anlass der Veranstaltung: die Verurteilung von Hanna S. wegen ihrer vermeintlichen Beteiligung an tätlichen Angriffen auf mutmaßliche Neofaschisten in Budapest im Februar 2023.
Auf der Demo ging es allgemein darum, einander zu bestärken im Widerstand gegen den autoritäre Entwicklungen in Deutschland und anderswo und solidarisch zu sein mit Menschen, die Repressalien und Strafverfolgung ausgesetzt sind. Mehr als 1500 Menschen zogen in Solidarität mit Hanna S. und anderen Antifaschist*innen durch die Nürnberger Innenstadt. Aufgerufen hatten antifaschistische Solidaritätskreise zu einer überregionalen Veranstaltung; und so waren auch Menschen aus München und anderen Städten angereist. Mit Sprechchören wie »Alle zusammen gegen den Faschismus« und »Free Hanna« machten die Versammelten deutlich, dass sie hinter der Verurteilten stehen.
Hanna S. war am Freitag nach mehr als 30 Prozesstagen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Das Oberlandesgerichts München befand sie der gefährlichen Körperverletzung, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung für schuldig. Die Richter sehen es als erwiesen an, dass S. zusammen mit anderen am von Neonazis aus ganz Europa in Budapest zelebrierten »Tag der Ehre« im Februar 2023 Menschen verprügelt hatte, die sie der rechtsradikalen Szene zuordneten.
Die Verurteilung basiere, wie der Vorsitzende Richter Philipp Stoll am Freitag einräumte, auf einer Zusammenstellung von Indizien wie Videoaufnahmen, in denen die Angeklagte durch Analysen sogenannter Superrecognizer zu erkennen sei. Zweifel der Zuhörer und der Verteidigung, ob die Qualität der Filmsequenzen ausreichend sei, stelle »nicht die Überzeugung der Richter in Frage«, betonte Stoll zugleich.
Den Mangel an Beweisen kritisierte Yunus Ziyal, Verteidiger von Hanna S., auf der Demo scharf: »Wir haben hier lediglich Gutachter, die von einer Wahrscheinlichkeit ausgehen. Wir haben fragwürdige Methoden der 3D-Laser-Vermessung.« Dazu komme, dass es »keinerlei Beweise für die tatsächliche Anwesenheit von Hanna in Budapest« gebe. Die Indizien, auf die sich das Gericht gestützt habe, reichen aus seiner Sicht nicht für eine Verurteilung. Ziyal hatte einen Freispruch für seine Mandantin gefordert.
Nach dem Urteil haben sich auch Angehörige anderer Angeklagter im sogenannten Budapest-Komplex zu Wort gemeldet. Eine Elterninitiative erklärte : »Irgendwie haben wir diesem Urteil entgegengefiebert in der naiven Hoffnung auf Gerechtigkeit. Wer dieses absurde, inszenierte Spektakel verfolgt hat, sei es persönlich beim Prozess oder durch die mediale Berichterstattung, musste die Befürchtung haben, dass diese Hoffnung nicht erfüllt wird.« Man stelle sich auf einen »Marathon der Solidarität mit Antifaschist*innen« ein.
Unterstützung kam auch von der Nürnberger Kunstakademie. Ein Mitglied erinnerte während der Demonstration daran, dass Hanna S. nicht nur politische Aktivistin, sondern auch eine ausgezeichnete Künstlerin sei: »Seit fast eineinhalb Jahren fehlt Hanna uns schon, und seit gestern wissen wir, dass wir sie auch noch jahrelang überall vermissen werden«, betonte der Redner und plädierte für mehr Mut und Solidarität auch innerhalb der Kultur- und Kunstszene: »Während die Bundesanwaltschaft Dämonisierung betrieb, blieb die Unterstützung vieler Institutionen aus.«
Ein Aktivist, nach dem gefahndet wird und der sich deshalb versteckt hält, hatte eine Grußbotschaft gesendet, die auf der Demo verlesen wurde. Das Urteil gegen S. habe ihn nicht überrascht, schreibt er. »Es reiht sich ein in die sich kontinuierlich verschärfende Repression.« Er verwies auf das Vermächtnis der »Vorkämpfer*innen«, von denen viele ihr Leben für die Befreiung der Welt vom deutschen Faschismus gegeben hätten. Heute gelte es »mehr denn je, ihren Kampf weiterzuführen«.
Die Anwälte von Hanna haben angekündigt, in Revision zu gehen. Derweil soll Anfang November in Dresden ein Mammutprozess mit bis zu 130 angesetzten Verhandlungstagen gegen weitere Antifaschist*innen beginnen. Auch hier wird erneut einem der Beschuldigten versuchter Mord vorgeworfen. Laut MDR-Recherchen könnte die Beweisführung mit DNA-Spuren und einem neuartigen 3D-Modellierungsverfahren schwierig werden. Dabei handelt es sich um die sogenannte Labudde-Methode, die schon im Prozess gegen Hanna S. eingesetzt wurde.
Zudem soll in Düsseldorf demnächst ein Prozess gegen sechs weitere Beschuldigte eröffnet werden. Es geht um die im Rahmen der Budapest-Ermittlungen zuerst aus Angst einer Auslieferung an Ungarn untergetauchten Antifaschist*innen, die sich Anfang des Jahres gestellt haben.
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