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Neue Rasterfahndung mit Palantir?
Bund prüft länderübergreifende Analyse von Polizeidaten zu psychischer Gesundheit
In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linke-Abgeordneten Evelyn Schötz nennt das Bundesinnenministerium aktuelle Zahlen zur Speicherung sogenannter personenbezogener Hinweise (PHW) mit Bezug auf psychische Gesundheit in deutschen Polizeidatenbanken. Im bundesweiten Informationssystem Inpol sind derzeit 16 043 Personen mit dem Hinweis »Psychische und Verhaltensstörung« versehen, 3810 mit »Freitodgefahr« und 417 229 mit »Betäubungsmittelkonsument«.
Die Vergabe der PHW erfolgt laut Bundesregierung nach einer Einzelfallprüfung mit dem Ergebnis, dass der Hinweis zum Schutz der Person oder zur Eigensicherung von Polizeikräften erforderlich ist. Die weitgehenden Informationen erscheinen, wenn im Rahmen einer Kontrolle oder vor einer Razzia nach den Personendaten in der Polizeidatenbank Inpol gesucht wird. Abfragen dürfen aber auch Bundeskriminalamt, Bundespolizei, Zollkriminalamt und weitere Sicherheitsbehörden vornehmen.
Für den PHW »Psychische und Verhaltensstörung« muss zur Speicherung eine ärztlich festgestellte psychische Erkrankung vorliegen. Für »Freitodgefahr« reichen »Anhaltspunkte« für eine mögliche Suizidgefahr; ein zurückliegender Versuch kann etwa in diese Prognose einfließen. Der Hinweis »Betäubungsmittelkonsument« wird vergeben, wenn Hinweise vorliegen, dass die Person andere gefährden könnte. Als Beispiel nennt das Innenministerium Durchsuchungen, bei denen sich Polizeibedienstete »Verletzungen durch ein Fixerbesteck zuziehen können oder durch Betäubungsmittel bedingte unvorhersehbare Verhaltensweisen gefährdet werden«.
Ziel der Anfrage war auch, herauszufinden, ob diese sensiblen Daten künftig in automatisierte Analysesysteme einbezogen werden könnten – etwa in die US-Software von Palantir, die bereits in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen und bald auch in Baden-Württemberg genutzt wird. Auch für die geplante bundesweite »Verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform« (VeRA) könnte sich der wegen seiner Nähe zum US-Geheimdienst und zum erratischen Präsidenten Donald Trump umstrittene Konzern durchsetzen: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) will die Auftragsvergabe an Palantir prüfen lassen.
Wie solche problematischen Datenverknüpfungen in der Praxis aussehen könnten, darauf verweist das Beispiel Hessen.
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Mit der Palantir-Software Gotham, die in den Bundesländern unter anderen Namen firmiert, kann die Polizei große Mengen an Daten auswerten und Prognosen zu Verbindungen unter Personen, Sachen oder Vorgängen entwerfen. Eingesetzt werden darf das Programm bisher nur, um Straftaten zu verhindern. Dafür wurden in den jeweiligen Ländern die Polizeigesetze geändert.
Zwischen den Zeilen deutet sich in der Antwort auf die Kleine Anfrage an, dass eine Einbindung von PHW in ein bundesweites VeRA nicht ausgeschlossen ist. Wie solche problematischen Datenverknüpfungen in der Praxis aussehen könnten, darauf verweist das Beispiel Hessen. Dort hat die Polizei rund 1600 Menschen mit psychischen Erkrankungen überprüft, um mögliche zukünftige Gefährdungen einzuschätzen. Dabei wurden neben den PHW Informationen aus weiteren Quellen zusammengeführt, analysiert und nach bestimmten Kriterien bewertet. Diese Form der Rasterfahndung mit besonders geschützten Gesundheitsdaten könnte auch mit einer Software zur Risikoanalyse durchgeführt werden – nachdem das Polizeigesetz entsprechend geändert wurde.
Auch die anderen Bundesländer könnten dem Vorgehen Hessens folgen – eine vertiefte Überprüfung der Personen mit dem PHW »Psychische und Verhaltensstörung« obläge den dortigen Landeskriminalämtern. Parallel führt aber auch die Bundesregierung »Gespräche« mit den Ländern, um – so die Formulierung – eine »gemeinsame Risikobewertung« für diesen Zweck zu entwickeln. So wurde es im Koalitionsvertrag von Union und Sozialdemokraten vereinbart. Damit hat sich der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann mit seiner Forderung nach dem Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt im Dezember durchgesetzt, ein bundesweites Register für psychisch Erkrankte einzuführen.
Ergebnisse zu diesen »Gesprächen« liegen bislang nicht vor. Die Antwort auf die Kleine Anfrage betont, die besondere Schutzbedürftigkeit der Betroffenen zu berücksichtigen. Zugleich zeigt der Blick nach Hessen, dass solche weitgehenden Auswertungen bereits Realität sind – und für eine Nutzung von Auswerte-Software nur noch eine politische Entscheidung fehlt.
»Wir dürfen uns nicht abhängig machen von einer Firma, deren Gründer und Chef in den USA einen faschistischen Gesellschaftsumbau vorantreibt«, kritisiert die Fragestellerin Evelyn Schötz gegenüber »nd«. Die Abgeordnete ist auch Sprecherin für psychische Gesundheit ihrer Fraktion. Sicherheit auch für Menschen mit einer psychischen Erkrankung entstehe nicht durch Überwachung und Generalverdacht, sondern durch Unterstützung und gesellschaftliche Teilhabe, so Schötz.
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