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Immer Hochwasser
Die philippinische Stadt Macabebe ist dem Untergang geweiht, weil der Boden absinkt. Doch die Bewohner wollen den Ort nicht aufgeben
Wer zu Fuß durch Macabebe geht, fühlt sich seltsam riesig. Viele der Türen von Wohnhäusern reichen nur bis zur Schulter, die Dächer liegen nur etwas höher. Fenster sehen auf den ersten Blick aus, als wären sie bodentief – doch dies ist nicht mit Absicht so gebaut worden: Im beliebtesten Restaurant des Ortes liegt die Deckenhöhe bei knapp 1,90 Meter. Größere Gäste ducken sich beim Eintreten. Ist das hier eine Zwergenstadt?
»Wenn’s das nur wäre!«, seufzt Maria Nerissa Laguindanum, während sie durch ihren Heimatort führt. »Wären wir eine Zwergenstadt, wäre ja alles gerade groß genug für uns.« Wobei, fügt die 56-Jährige hinzu, dann wäre das eigentliche Problem der Stadt mit ihren 78 000 Einwohnern auch nicht gelöst. »Das Wasser würde uns ja trotzdem zum Hals stehen.« Und dies von Jahr zu Jahr etwas mehr. »Wir wissen allmählich nicht mehr, was wir noch tun sollen.«
Macabebe, eine Stadt am Nordrand des Großraums Manila, der Hauptstadt der Philippinen, wirkt deshalb wie ein Ort, in dem die Häuser kleiner sind als anderswo, weil private Hausbesitzer und der öffentliche Sektor Jahr für Jahr den Boden neu aufschütten – um nicht mit den Füßen im Wasser zu stehen. Denn in dieser Ortschaft im Pampanga-Delta, einer der größten Flussmündungen auf der Hauptinsel Luzon, sackt der Boden in besorgniserregendem Tempo ab.
Etwas mehr als zehn Zentimeter im Jahr gibt der Untergrund nach. Das ist eine Geschwindigkeit, die zunächst nach nicht viel klingt, bei genauerem Überlegen aber unvorstellbar schnell ist. In den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten sind dies im Schnitt also anderthalb Meter. Einige Straßen stehen nicht nur in der saisonalen Regenzeit unter Wasser, sondern ständig. Die Hauptstraßen sind mit neuem Asphalt angehoben. Dadurch wirken die Häuser klein. Nur: Wie lang kann das so weitergehen?
Macabebe ist ein Extremfall. Aber das Phänomen ist auch anderswo zu beobachten: Ausgerechnet in Küstennähe – wo schon der durch den Klimawandel bedingte Anstieg des Meeresspiegels zusehends eine Herausforderung bei Fluten und Wirbelstürmen ist – potenziert sich die Verwundbarkeit dieser Ortschaften, weil der Boden nachgibt. Spricht man hier vom »Untergang«, so ist das wörtlich zu verstehen. Ganze Städte drohen zu versinken. Millionen von Menschen werden in absehbarer Zeit davon betroffen sein.
Warum Dörfer und Städte in den Philippinen absinken, ist noch nicht vollständig geklärt. Eine Frau, die dies herausfinden will, heißt Jolly Sulapas. An einem stickig heißen Vormittag trifft sich die 33-jährige Geologin, die derzeit ihre Doktorarbeit am Resilienz Institut der Universität der Philippinen in Manila vorbereitet, mit Anwohnerinnen des Ortes wie Maria Nerissa Laguindanum, um deren Lebensrealitäten besser zu verstehen. »Was tun Sie gegen das Absinken?«, gehört zu den Fragen der Forscherin.
Laguindanum, die selbst in der Landwirtschaftsbehörde der Stadt im Großraum von Manila arbeitet, muss bitter grinsen. Sie führt zu ihrem eigenen Wohnhaus am Rande der Hauptstraße, die längst wie ein Deich aus Asphalt aussieht. Die dreifache Mutter steigt eine Schräge herunter und deutet auf ihr Grundstück. Ein halb unter Wasser stehendes Fenster lässt erahnen, wie dieses Zuhause einmal aussah.
»Das Erdgeschoss können Sie nicht sehen. Das würde längst unter Wasser stehen«, sagt Laguindanum, die dieses Grundstück kurz nach der Jahrtausendwende kaufte. »Vor fünf Jahren haben wir es mit Beton zugeschüttet.« Das, was jetzt wie das Erdgeschoss aussieht, war damals noch ein Obergeschoss. Und eigentlich, betont sie, müsste sie ihren Boden bald erneut aufschütten. »Aber das kostet um die 100 000 Philippinische Pesos«, etwa 1500 Euro. Im Moment hat sie das Geld nicht.
Die Philippinen sind nicht das einzige Land, in dem der Anstieg des Meeresspiegels und das Absinken des Grunds zu massiven Problemen führt. Eine 2022 veröffentlichte Studie, die sich insbesondere auf die Auswertung neuer und alter Satellitenbilder stützt, kam zum Schluss, dass von 99 untersuchten Küstenstädten weltweit ein Drittel absackte – viele davon gar fünfmal so schnell wie der Anstieg des Meeresspiegels.
Betroffen sind insbesondere Metropolregionen in Asien: So etwa Jakarta, die Hauptstadt von Indonesien, oder Chittagong in Bangladesch und Mumbai, die größte Metropole Indiens. Ein leichtes Nachgeben des Bodens ist auch in New York, Rotterdam oder Taipeh messbar, teils wegen der vielen Hochhäuser – allerdings sind die Effekte eher klein und die Auswirkungen nicht so gravierend. Hinzu kommt, dass die Gründe dort, wo das Absacken rasant geschieht, wohl besondere sind.
Jolly Sulapas, die sich mit dem Phänomen täglich auseinandersetzt, kann noch keine exakten Antworten geben. »Derzeit laufen mehrere Forschungsprojekte, die nach Gründen suchen«, sagt sie, während sie durch das überflutete Macabebe geht. »Wir gehen davon aus, dass ein entscheidender Grund die Entnahme des Grundwassers ist. Gerade in der Region rund um Macabebe wird Trinkwasser vor allem aus dem Grundwasser gewonnen.« Dadurch entstehen Freiräume unter der Erde im Boden, was zu einem Absinken des Bodens führe.
Auch die Altstadt im Ortszentrum ist von dem Phänomen längst betroffen. Die Kirche, die einst eine stolze, hohe Eingangstür hatte, wirkt heute mit ihrer oben spitz zulaufenden Form kaum mehr opulent. Eine Sporthalle ist zum Lagerort umfunktioniert, seit das Spielfeld aufgeschüttet werden musste, sodass die Tribüne an den Rändern nicht mehr höher lag als der Rest des Innenraums.
Aber sind die Auswirkungen tatsächlich so gravierend, nur weil die Leute etwas Trinkwasser fördern? Alfredo Mahar Lagmay schüttelt den Kopf. In seinem Büro auf dem Campus der Universität im Zentrum von Manila klickt der Geologe, der die Promotion von Jolly Sulapas betreut, durch eine Powerpoint-Präsentation mit Satellitenbildern. »Über die letzten rund 20 Jahre hat die Zahl von Industrieanlagen und künstlichen Teichen für die Fischzucht stark zugenommen«, kommentiert Lagmay. »Die brauchen jeweils sehr viel Frischwasser. Und das holen die Betreiber vermutlich – wie andere auch – aus der Erde.« Die Auswirkungen scheinen desaströs zu sein.
Auf Empfehlungen von Experten wie Lagmay hin haben mehrere Lokalregierungen unkontrollierte Grundwasserentnahmen verboten. Aber oft seien die Besitzer der Fischteiche Personen mit viel Geld, die wohl dafür sorgten, dass die Kontrolleure ein Auge zudrücken. »Richtig dramatisch wird die Situation, wenn der Pampanga-Fluss im Juli über die Ufer tritt«, fährt der Geologe fort. »Die Teiche verhindern es, dass das Wasser abfließen kann.« Die Überschwemmungen werden dann umso stärker.
Aber auch außerhalb des Monats Juli stehen viele Gegenden in Orten wie Macabebe heute permanent unter Wasser. Maria Nerissa Laguindanum zeigt auf einen kleinen See, in dem ein Haus auf Stelzen steht. »Als ich ein Kind war, haben wir hier gespielt. Das war mal ein Reisfeld.« Am Ufer steht Nilo Yabut und nickt ihr zu: »Ich hab‘ das Land von meinem Vater geerbt«, er deutet Anführungszeichen an, als er »Land« ausspricht.
Vor einigen Jahren hat er den Familienbetrieb übernommen und stieg von Reis auf Aquakultur um. »Es war ja kein Land mehr da!« Betriebswirtschaftlich sei das eher gut, sagt der Mann und blickt auf ein Boot, das einer seiner Mitarbeiter mit einem Motor und Fangnetz über das einstige Reisfeld lenkt. »Wir züchten hier Tilapia, eine Fischsorte, die im Brackwasser leben kann, also Salz- und Frischwasser aushält.« Diese Fischart, die in Manila viel gegessen wird, habe Nilo Yabut wohlhabender gemacht.
Das Wasser für seinen Teich komme nicht aus dem Grund, betont er. »Wir setzen eben auf Brackwasser.« Was in seinem Fall der Wahrheit entsprechen mag, hört man im Ort allerdings überall: Den Grund rühre man nicht an. Jolly Sulapas machen solche Aussagen skeptisch. »Im Rathaus wird berichtet, dass oft schon 180 Meter tief gebohrt werden muss, um noch auf nichtsalziges Wasser zu stoßen.« Zudem wird über salziges Leitungswasser geklagt. Das ist ein Zeichen für verstärkte Grundwasserentnahmen.
Ein weiterer Grund für das Absinken des Bodens könnten Erdbeben und die Aktivität eines Vulkans in der Nähe sein, was zu Verschlägen im Erdboden führt. »Tendenziell rutscht dann auf einer der beiden Seiten des Risses der Grund ab«, erklärt Alfredo Mahar Lagmay. Aber der Wissenschaftler wiederholt: »Ich glaube nicht, dass dies allein das hohe Tempo des Absinkens erklären kann.«
In Macabebe spitzt sich die Situation Jahr für Jahr zu. Und die meisten im Ort profitieren – anders als Nilo Yabut – nicht vom Absinken des Bodens. Häuser sind verlassen worden. An Grundstücken, die unter Wasser stehen, sind noch alte Schilder zu sehen, die einen Verkauf anbieten.
Am späten Nachmittag versucht der Fahrer eines Tuktuk-Taxis in einer Straße in der Innenstadt aus seiner Garage auszuparken, um seine Arbeitsschicht in der Rushhour zu beginnen. Vorsichtig manövriert er sich durch die ständig unter Wasser stehende Straße. »Es nervt. Mein Fahrzeug rostet teilweise auch schon«, sagt der Mann. »Aber was soll man tun?« Ihm bleibt nichts Anderes übrig, als sich mit der Situation zu arrangieren. Er fährt weiter, und das Wasser schließt sich hinter ihm.
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