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Friedensbewegung hofft auf Zulauf
Mehr als 400 Initiativen rufen für den 3. Oktober zu Demonstrationen in Berlin und Stuttgart auf
Eins steht fest: Das Miteinander der klassischen Friedensbewegung scheint wieder zu funktionieren. Zu zwei großen Demonstrationen unter dem Motto »Nie wieder kriegstüchtig!«, die am Freitag in Berlin und Stuttgart stattfinden sollen, rufen die gestandenen antimilitaristischen Gruppen der Bundesrepublik gemeinsam auf. Vor genau einem Jahr hatte es Verstimmung über den von der Initiative »Nie wieder Krieg – die Waffen nieder« veröffentlichten Demo-Aufruf gegeben, die Änderungen nicht erlaubt und stattdessen eingeladen hatte, dass verschiedene Gruppen mit eigenen Aufrufen zu der Veranstaltung mobilisieren sollten.
So hatten die Bundesverbände der Deutschen Friedensgemeinschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), das Netzwerk Attac und Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) deutliche Kritik am Aufruf geäußert, vor allem, weil die russische Aggression gegen die Ukraine unzureichend benannt und verurteilt werde.
Dieses Jahr scheint die Abstimmung untereinander besser geklappt zu haben: Das Nie-wieder-Krieg-Personenbündnis, DFG-VK, Pax Christi, das Netzwerk Friedenskooperative, die Anti-Atomwaffen-Organisation IPPNW laden gemeinsam mit mehr als 400 weiteren regionalen und überregionalen Initiativen zu den Veranstaltungen am Tag der Einheit ein. Sie fordern ein schnelles Ende der Kriege in Europa. Sie hoffe, dass »sehr, sehr, sehr viele kommen«, sagte die langjährige Friedensaktivistin Jutta Kausch-Henken am Montag auf einer Online-Pressekonferenz zu den Demos.
In Berlin wird der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner zu den Hauptrednern gehören. Er und andere in der SPD waren auf deren Parteitag im Juni scharf dafür kritisiert worden, dass sie sich gegen die von der schwarz-roten Bundesregierung geplante, Hunderte Milliarden Euro schwere Aufrüstung gewandt hatten. In einem Manifest für »Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung« hatten sie sich für die Rückkehr zu einer Ordnung in Europa ausgesprochen, in die künftig auch Russland wieder einbezogen werden müsse.
Stegner dankte den Initiatoren der Demo und betonte mit Blick auf die israelische Kriegführung in Gaza: »Nichts rechtfertigt im Kampf gegen Terrorismus, Kinder verhungern zu lassen, Medikamente fernzuhalten oder zivile Gebiete zu bombardieren.« Der Völkermord im Nahen Osten solle auch am 3. Oktober einen Schwerpunkt der Veranstaltungen bilden, sagte Joachim Guilliard, der für Demo-Vorbereitung in Stuttgart mit verantwortlich ist.
Man wolle aber auch an die vielen weiteren »extrem gefährlichen Entwicklungen« erinnern, mit denen die Welt außerdem konfrontiert sei. So sei der Krieg in der Ukraine längst zu einem »Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der Nato geworden«. Auch die Gefahr eines Atomkriegs sei so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr, so Guillard. Auch gegen die ab 2026 geplante Stationierung von weitreichenden US-Marschflugkörpern und anderen Waffen in Deutschland sollen sich die Kundgebungen erneut richten. Denn diese könnten als »Erstschlags- und Enthauptungswaffen gegen Russland« eingesetzt werden, was angesichts der aktuellen Spannungen eine Eskalation sehr wahrscheinlich mache.
»Nichts rechtfertigt im Kampf gegen Terrorismus, Kinder verhungern zu lassen, Medikamente fernzuhalten oder zivile Gebiete zu bombardieren.«
Ralf Stegner SPD-Bundestagsabgeordneter
In Berlin wie Stuttgart soll auch gegen die von der Bundesregierung mittelfristig geplante Reaktivierung der Wehrpflicht protestiert werden. Das Demobündnis kritisiert zudem die Militarisierung der gesamten Gesellschaft und insbesondere die im Bereich von Bildung, Hochschulen und Gesundheitswesen sowie die Kürzung von Investitionen in Soziales, Klima und Entwicklungshilfe zugunsten der Aufrüstung.
Zu den bekannten Gesichtern auf der Demo in Stuttgart wird die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und Ex-Landesbischöfin von Hannover, Margot Käßmann, gehören. Sie nannte es »beachtlich, dass sich für die beiden Demonstrationen weit über 400 Gruppen zusammengefunden haben«. Käßmann ist überzeugt, dass dieser Umstand »etwas von der Sorge vieler Menschen« widerspiegelt, die »die sehr beunruhigt sind über die Entwicklung, über diese Milliarden, die in Rüstung gesteckt werden«. Die Theologin kritisierte die bisherige Zurückhaltung der großen Kirchen beim Engagement gegen Krieg und Aufrüstung.
In Berlin werden neben Ralf Stegner unter anderem die Linke-Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel, BSW-Generalsekretär Christian Leye, Jürgen Grässlin von der DFG-VK und Artem Klyga und Andrej Konowalow, Kriegsdienstverweigerer aus Russland und der Ukraine, auftreten.
In Stuttgart sollen neben Margot Käßmann Sevim Dağdelen vom BSW, Ulrike Eifler vom Linke-Bundesvorstand, Vertreter der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost und der Organisation »Palästina spricht« auftreten, ebenso eine Aktivistin vom Bündnis Nein zur Wehrpflicht und Maike Schollenberger von der Verdi-Bezirksleitung Baden-Württemberg.
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