Obdachlosigkeit in Berlin: Ärger auf dem Helmholtzplatz

Wohnungslosen-Stiftung beschwert sich über Beitrag im RBB zu obdachlosen Menschen in Prenzlauer Berg

  • Ralf Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.
Weil Wohnen in Berlin für viele unbezahlbar ist, müssen Menschen auch in Zelten schlafen wie hier am Helmholtzplatz.
Weil Wohnen in Berlin für viele unbezahlbar ist, müssen Menschen auch in Zelten schlafen wie hier am Helmholtzplatz.

Unter der Überschrift »Obdachlose nerven Anwohner« veröffentlichte der Sender RBB vor einer Woche einen knapp dreiminütigen Beitrag über den Helmholtzplatz im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg. Anlass für die Kurzreportage war nach Angaben des RBB das Anschreiben einer seit zweieinhalb Jahren in dem Kiez lebenden Person.

In dem Beitrag äußern die meisten befragten Anwohner ein gewisses Unwohlsein wegen der Tatsache, dass auf der innerstädtischen Grünfläche Wohnungslose kampieren. Die Betroffenen selbst kamen nicht zu Wort. Ob die im Beitrag gezeigten Filmaufnahmen ihrer privaten Habseligkeiten, der Zelte und Gesichter mit den Wohnungslosen abgesprochen waren, bleibt unklar.

Die gezielte Meinungsmache gegen Bürgergeldempfänger wird derzeit ergänzt um eine Kampagne gegen obdachlose Personen. Die Wohnungslosen-Stiftung, eine Interessenvertretung von Menschen, die wohnungslos waren oder sind, hat sich nach eigenen Angaben nachträglich beim RBB über den Beitrag beschwert, »weil obdachlose Menschen nicht die Möglichkeit erhalten haben, sich in diesem Beitrag zu äußern« und »weil ein Haufen allgemeiner Probleme ausschließlich dieser Nutzergruppe zugeschrieben« wurde.

»Ich kenne den Platz ja seit 30 Jahren«, sagt Stefan Schneider von der Wohnunglosen-Stiftung zu »nd«. »Die Balance der unterschiedlichen Nutzungen mit räumlichen Zuordnungen, also Spielplätze, Sportplatz, Wiese, Platzhaus und Tischtennisplatten, funktioniert eigentlich ganz gut.« Diese Erfahrung teilen auch langjährige Anwohner. Ein junger Erwachsener berichtete in dem RBB-Beitrag, dass er seit über 20 Jahren im Kiez lebe und die Wohnungslosen schon immer ein Teil des Platzes gewesen seien. Er blieb der Einzige, der sich nicht negativ über die derzeitige Situation äußerte.

»Erst gestern abend bin ich da noch mal lang«, berichtet Schneider. Fünf Zelte standen dort, »wo Zelte üblicherweise stehen«. Insgesamt sei alles ruhig gewesen. Nach seiner Erfahrung geht der Lärm auf dem Platz »von den Menschen aus, die in den Restaurants um den Helmholtzplatz« sitzen und »in der Regel Alkohol« trinken. Die Jugendlichen aus den benachbarten Hostels machten »an den Tischtennisplätzen mit Soundboxen und reichlich Alkohol lautstarke Partys«. Dies alles werde pauschal den Obdachlosen in die Schuhe geschoben.

»Der Bezirk und die Stadt kommen ihrer eigentlichen Aufgabe, obdachlose Menschen mit Wohnungen zu versorgen, nicht hinreichend nach.«

Stefan Schneider Wohnungslosen-Stiftung

Das Konzept der Grünfläche sieht die vielfältige Nutzung vor. Die Tischtennisplatten waren für Generationen von Jugendlichen, ob sie nun in dem Kiez leben oder zu Besuch waren, ein Treffpunkt, an dem auch mal bis in die Nacht laut gefeiert wird. Der Spielplatz für die Jüngsten ist davon separiert, die Grünfläche, auf der sich die Wohnungslosen treffen, ebenfalls. Diese Aufteilung entspricht den unterschiedlichen Bedürfnissen einer zersplitterten Stadtbevölkerung.

Das Bezirksamt Pankow gibt auf Nachfrage des »nd« an, dass »eine genaue Zahl« von Anwohnerbeschwerden »nicht genannt werden« könne, es seien aber »eine Vielzahl an diversen Stellen auf verschiedensten Kanälen im Bezirksamt« eingegangen. Der Bezirk ist verpflichtet, Menschen ohne Wohnung unterzubringen beziehungsweise ihnen Hilfen zu gewähren. Dies gestalte sich aber nach Angaben des Amtes »aufgrund der Wohnungsmarktsituation« als sehr schwierig.

Die Anmietung günstigen Wohnraums für wohnungslose Menschen ist in dem Bezirk schwer zu realisieren. Bei Bedarf werden Wohnungslose deshalb »überbrückend durch die Soziale Wohnhilfe Pankow in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe vermittelt, bis sie für sich eine andere geeignete Wohnform gefunden haben«. Wie viele Wohnungslose derzeit in Prenzlauer Berg leben, kann das Amt nicht sagen, da es »keine detaillierte statistische Erfassung für die einzelnen Ortsteile« gibt.

Außer einer sozialarbeiterischen Beratung, ob vom Berliner Senat oder vom Bezirk, hätten staatliche Behörden Wohnungslosen »selten was anderes anzubieten als freundliche Worte und den Hinweis auf Angebote, die obdachlose Menschen entweder schon kennen oder als menschenunwürdig ablehnen«, sagt Schneider von der Wohnungslosenstiftung zu der Situation. Der Verweis auf solche sozialarbeiterischen Angebote täusche nur darüber hinweg, dass »der Bezirk und die Stadt ihrer eigentlichen Aufgabe, obdachlose Menschen mit Wohnungen zu versorgen, nicht hinreichend nachkommen«. Ein Grund für die Attraktivität des Helmholtzplatzes für Wohnungslose sei zum Beispiel, dass in der Nähe ein öffentlich zugängliches kostenloses Urinal vorhanden ist. Eine Seltenheit in der Innenstadt.

Gegen Ende des RBB-Fernsehbeitrags taucht ein Schreiben der Abteilung Ordnung und Öffentlicher Raum des Pankower Bezirksamts auf, in dem die Räumung einer nicht näher benannten öffentlichen Grünanlage angekündigt wird. Auf Nachfrage von »nd« verneint das Amt die Frage, ob es Pläne gebe, die Wohnungslosen auf dem Helmholtzplatz gänzlich zu vertreiben.

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