- Sport
- Fußball
Das »Maschinchen« Bundesliga startet stotternd in die neue Saison
Vor dem Anpfiff zur 63. Spielzeit malen ob der finanziell enteilten internationalen Konkurrenz schon wieder viele schwarz
Schiedsrichter sind im Normalfall nie am Ball, im Optimalfall aber immer auf Ballhöhe. Künftig rücken die Unparteiischen mehr ins Zentrum des Spiels – zumindest für die Fernsehzuschauer, als Werbemaßnahme. Bei rund 50 Highlight-Partien der ersten und zweiten Liga können Fans am Bildschirm hautnah verfolgen, wie sich Fußballprofis nach einer umstrittenen Entscheidung protestierend vor dem Referee aufbauen, der eine sogenannte RefCam trägt. Wenn Rekordmeister Bayern München und Retortenklub RB Leipzig am Freitag die 63. Bundesliga-Saison eröffnen, soll diese noch mehr Diskussionsstoff liefern.
Nähe als Marketinginstrument
Den Einsatz der kleinen Spezialkamera hat der Weltverband Fifa erlaubt – und die Deutsche Fußball-Liga (DFL) sowie der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sehen kein Problem darin, den Mitschnitt den Fernsehanstalten zur Verfügung zu stellen. Schiedsrichter-Chef Knut Kircher räumte allerdings kürzlich auf dem DFB-Campus ein, dass sich dahinter vor allem Marketinggründe verbergen. Je mehr Perspektiven angeboten werden, desto besser ist das Produkt zu vermarkten. Bei den horrenden Rechtekosten verlangen die Fernsehpartner nach immer intimeren Einblicken.
Doch vielleicht lohnt ja mal eine andere Blickrichtung: Muss es wirklich immer mehr Geld sein? Braucht es eine RefCam, um mittels Erregung noch einige Euro herauszupressen? Offenbar schon. Die Bundesliga ist im internationalen Rattenrennen gefangen – und muss gerade gehörig aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren. In der Fünfjahreswertung des europäischen Verbandes Uefa rangiert die deutsche Eliteliga nur noch auf Rang vier, hinter der englischen Premier League, der italienischen Serie A und der spanischen La Liga.
Mehr Durchschnitt als Weltklasse
»In den 80er bis Mitte der 90er Jahre war die italienische Liga das Nonplusultra. Jetzt ist es die Premier League«, sagte DFB-Sportdirektor Rudi Völler und klang dabei weniger aufgeregt als Matthias Sammer, der das Sommerloch mit einer Grundsatzschelte füllte. Es werde zu viel Durchschnitt als Weltklasse verkauft, warnte der Europameister von 1996. »Wir Deutschen sind, wie man an unserer Fußballgeschichte sieht, immer mannschaftlich geschlossen und robust aufgetreten.« Doch die Stärke des Kollektivs sei auf der Strecke geblieben – abzulesen an einem seit mehr als zehn Jahre titellosen Nationalteam, bei dem ein Viertelfinal-Aus bei einer Heim-EM fast überschwänglich bejubelt werde. Sammer im Sommer 2025: »Wir waren eine Maschine. Heute sind wir noch maximal ein Maschinchen.«
Deutsche Vereine konnten in den vergangenen zehn Jahren nur zwei Titel gewinnen: der FC Bayern 2020 die Champions League, zwei Jahre später Eintracht Frankfurt die Europa League.
Die DFL kann detailliert darlegen, dass Portugal im Verhältnis zu einer Million Einwohner genau 100 Fußballprofis entwickelt, Deutschland liegt mit 16 Berufskickern an letzter Stelle im Vergleich der Topnationen. Nachholbedarf besteht auch bei der Einbindung eigener Talente, obwohl die deutsche U21-Nationalelf erst im EM-Finale unglücklich an England scheiterte. »Ich würde ihnen gerne andere Zahlen präsentieren«, gestand DFL-Geschäftsführer Marc Lenz bei einem Strategiegespräch.
Uneinholbarer Vorsprung
In der Saison 2023/2024 verzeichnete die Bundesliga laut DFL-Angaben einen Rekordumsatz von 4,8 Milliarden Euro. Die Premier League kommt auf 7,4 Milliarden Euro, deren Vorsprung bei der Auslandsvermarktung ist historisch bedingt kaum mehr aufzuholen. Und so zieht es die besten Spieler auf die Insel. Mit dem deutschen Ausnahmespieler Florian Wirtz, dem niederländischen Außenbahnspieler Jeremie Frimpong und dem französischen Shootingstar Hugo Ekitiké sind allein drei Bundesligastars zum englischen Meister FC Liverpool gewechselt. Die Liste ließe sich noch um Jamie Gittens und Chelsea, Benjamin Sesko und Manchester United oder Granit Xhaka und Sunderland verlängern.
Die Bundesliga habe längst an Ansehen und Strahlkraft eingebüßt, die vermeintliche Attraktivität sei »trügerisch«, warnt Oliver Kahn. »Die Premier League und La Liga heben sich deutlich ab. Jeder kennt die Stars und Mannschaften«, so der ehemalige Weltklassetorwart. Nicht ganz so düster beschrieb sein ehemaliger Mitstreiter Lothar Matthäus den Status quo. »Unsere Mannschaften sind gut ausgebildet, wir haben einen guten Nachwuchs, nur eben nicht das Geld der Engländer und anderer Großklubs in Europa«, erklärte der Rekordnationalspieler. Aus seiner Sicht sind die Bayern immer noch konkurrenzfähig: Im Viertelfinale der Champions League gegen Inter Mailand und bei der Klub-WM gegen Paris St. Germain habe nicht viel gefehlt.
Kluge Kaderplanung
Und tatsächlich besteht zu Schwarzmalerei kein Anlass. Bayer Leverkusen hat mit dem Sensationsdouble 2024 bewiesen, wohin eine kluge Strategie und clevere Kaderplanung führen können. Dazu spielte die Werkself unter Xabi Alonso, für den die Bundesliga als Trainer das Sprungbrett war, einen betörenden Fußball, der in ganz Europa Anklang fand.
Ähnliche Innovationskraft bringt inzwischen auch Eintracht Frankfurt auf, weil es immer wieder gelungen ist, Unterschiedsspieler zu entwickeln, die dann gegen hohen Gewinn zu den renommiertesten Adressen der Fußballwelt weitergezogen sind – von Randal Kolo Muani, Omar Marmoush bis hin zu Ekitiké. Und vielleicht sind ja Jonathan Burkardt, Nick Woltemade und Paul Nebel die nächsten Himmelsstürmer, die nicht nur die 63. Bundesliga-Saison, sondern auch die Weltmeisterschaft im nächsten Sommer in Kanada, Mexiko und den USA zur Demonstration dafür nutzen, dass das Prädikat »Made in Germany« zumindest im Fußball noch ein Gütesiegel ist.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.