Kreislauf der Arbeitslosigkeit

Krankheit macht arbeitslos, Arbeitslosigkeit zugleich krank. Experten kritisieren einen sich selbst ver­stär­ken­den Zustand

  • Jörg Schurig
  • Lesedauer: 3 Min.
Den Stempel »Arbeitslos« wird man nicht leicht wieder los.
Den Stempel »Arbeitslos« wird man nicht leicht wieder los.

Langzeitarbeitslose sind bei der Suche nach einem Job meist auf individuelle Betreuung und eine besondere Unterstützung angewiesen. Das ist ein Befund aus einer Studie unter Mitwirkung des Diakonischen Landesverbandes Sachsen. »Die zentrale Frage war: Warum treten Langzeitarbeitslose trotz zahlreicher offener Stellen nur selten wieder in den Arbeitsmarkt ein«, erklärt Marko Hietzke, Referent für Arbeitsförderung und Erwerbslosenarbeit bei der Diakonie. Für die qualitative Studie waren unter anderem 34 Betroffene bundesweit befragt worden.

In der Regel erweist sich Langzeitarbeitslosigkeit als ein sich selbst verstärkender Zustand, sagt Hietzke. »Eine Befragte brachte es so auf den Punkt: Krankheit hat mich arbeitslos gemacht, und Arbeitslosigkeit macht mich krank.« Betroffene könnten in einen verhängnisvollen Kreislauf geraten. »Je länger die Arbeitslosigkeit andauert, umso schwieriger ist es, aus ihr wieder herauszukommen.« Ambivalenzen und Ängste bezüglich eines Wiedereinstiegs in den Arbeitsmarkt spielten eine zentrale Rolle.

Versagensangst in unsicherem Terrain

»Es gibt Ängste vor Bewerbungen, dem Bewerbungsgespräch und vor einem Versagen«, so Hietzke. Langzeitarbeitslose würden bei einer Arbeitsaufnahme in gewisser Weise ein vertrautes und sicheres Terrain verlassen. »Bisher waren sie erst einmal abgesichert. Der neue Job bringt Ungewissheit mit sich.« Als Vermittlungshemmnis gelte ein fortgeschrittenes Alter. »Ab 55 plus ist es schwierig, Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zu vermitteln.«

Hietzke zufolge befinden sich Langzeitarbeitslose mitunter in einer schwierigen persönlichen Situation. »Manche haben Kinder oder müssen Angehörige pflegen. Mitunter liegen psychische Erkrankungen, eine Sucht oder Schulden vor.« Notwendig sei deshalb eine individuelle Begleitung auf Augenhöhe seitens der Jobcenter und Sozialarbeiter – noch besser der sozialen Träger, die ebenfalls für Langzeitarbeitslose zuständig sind.

»In der öffentlichen Debatte spricht man oft von Sanktionen und Totalverweigerung. In der Studie ist man eher zu der Erkenntnis gelangt, dass ein wohlwollender Druck sinnvoller ist«, sagt Hietzke. Ganz ohne Druck gehe es nicht. Das würden auch Studien vom Institut für Arbeits- und Berufsforschung zeigen. Zu viel Druck sei wiederum kontraproduktiv, weil das Menschen verprellen könne.

»Es geht darum, Betroffene mitzunehmen, vorhandene Instrumente besser zu nutzen und Good-Practice-Beispiele stärker einzubeziehen«, erläutert Hietzke. Beim Chancenteilhabegesetz zeichne sich momentan eine problematische Entwicklung ab: Da in Zeiten finanzieller Knappheit überall Geld fehle, würden auch Angebote für Langzeitarbeitslose zurückgefahren. Die Instrumente seien zwar teuer, zahlten sich aber langfristig aus.

Arbeitsplatzabbau in der Industrie

»Arbeit ist auch für Langzeitarbeitslose ein wichtiger Faktor. Die meisten Betroffenen wollen arbeiten, brauchen aber dafür gute Bedingungen«, so Hietzke, der in einer früheren Tätigkeit in der Dresdner Stadtmission häufig mit ihnen zu tun hatte. »Ich habe erlebt, wie sich Menschen stark mit ihrer Arbeit identifizierten. Ein Mann, der auf einem Friedhof eine Anstellung in einer Arbeitsgelegenheit fand, ließ seine Arbeitssachen auch auf dem Heimweg an. Sein Junge sollte sehen, dass Papa von Arbeit nach Hause kommt.«

Nach Angaben der sächsischen Arbeitsagentur hatte die Langzeitarbeitslosigkeit in Sachsen im langjährigen Vergleich abgenommen. 2019 erreichte sie mit 39 300 Betroffenen einen Tiefststand. Durch die Corona-Pandemie sei der positive Trend gestoppt und umgekehrt worden. 2024 waren 50 455 Menschen als langzeitarbeitslos registriert. Dabei sind mehr Männer als Frauen betroffen. Durch die wirtschaftliche Entwicklung kam es vor allem in der Industrie mit ihrem traditionell hohen Männeranteil zu einem Arbeitsplatzabbau, hieß es.

Etwa die Hälfte der Langzeitarbeitslosen (49 Prozent) sind 25 bis unter 50 Jahre alt. Dahinter folgt mit geringem Abstand die Altersgruppe 50 plus (47 Prozent.) Als Gründe für eine Arbeitslosigkeit von einem Jahr und länger nennt die Agentur neben einer fehlenden Ausbildung und mangelnden Sprachkenntnissen auch gesundheitliche Einschränkungen sowie die Kinderbetreuung bei Alleinerziehenden. Mitunter fehle auch eine »Passgenauigkeit von Nachfrage und Angebot«. dpa/nd

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