Einwanderer­feind­liche Proteste: Lautstarke Minderheit

In Großbritannien nehmen die einwanderer­feind­lichen Proteste vor Hotels weiter Fahrt auf

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 4 Min.
Protest vor einem Hotel im Süden Londons gegen die Unterbringung von Asyl­bewerbern
Protest vor einem Hotel im Süden Londons gegen die Unterbringung von Asyl­bewerbern

Hinter einer dichten Reihe von Polizisten wehen die weiß-roten England-Flaggen und die Union Jacks. Es sind grimmige Gesichter zu sehen, hin und wieder ertönt der Ausruf: »Get them out!« (Schmeißt sie raus!) Es ist Freitagabend, etwa 100 Leute stehen vor dem »Pavilion«-Hotel in einer normalerweise verschlafenen Ecke des Londoner Stadtteils Orpington. Die Kundgebung ist eine von Dutzenden ähnlichen, die zuletzt in ganz Großbritannien abgehalten wurden, auch an diesem Wochenende. Der Zorn richtet sich gegen Hotels, in denen Asylbewerber untergebracht sind, so wie im »Pavilion«.

In der Menge sind einige Frauen zu sehen, aber der Großteil der Beteiligten sind Männer – einige mit Bierflaschen in der Hand –, die im Laufe des Abends zunehmend ausfällig werden. Richtig wütend werden sie, als auf der anderen Seite der Eisenbahnbrücke der Gegenprotest von etwa 50 Antirassisten auftaucht. »Kommt rüber, wenn ihr euch traut!«, rufen die Männer vor dem Hotel. Aber die Polizei hält die zwei Gruppen in sicherer Distanz.

Solche Proteste gegen die »Asyl-Hotels« bereiten der Regierung von Keir Starmer zunehmend Kopfschmerzen. Rechtspolitiker wie Nigel Farage von der Partei Reform UK, aber auch Tory-Chefin Kemi Badenoch heizen die Stimmung an. Auch weite Teile der Presse geben den Demonstranten Rückendeckung. Es handele sich um »besorgte Bürger«, heißt es, was teilweise stimmt. Die Demos begannen Anfang Juli nach einem sexuellen Übergriff auf eine Minderjährige in der Kleinstadt Epping. Der Tatverdächtige ist ein Asylbewerber. »Schützt unsere Kinder!« ist denn auch ein Slogan, den man auf den Protesten oft hört.

Antirassistische Gruppen warnen, dass viele Proteste von Rechtsextremen organisiert werden, die solche Vorfälle ausnutzen. Experten sagen zudem, es gebe nicht genug Politiker, die der Stimmung gegen Migranten entgegentreten. »Es gibt große Sorgen, dass die extreme Rechte gestärkt wird und dass es zu wenige Stimmen im politischen Mainstream gibt, die bei der Migration ein anderes Narrativ fordern«, sagte Paul Jackson, Experte für Rechtsextremismus von der University of Northampton, gegenüber dem »Guardian«.

Auch Sunder Katwala vom Thinktank British Future beklagt, dass sich insbesondere die Labour-Führung nicht entschieden genug gegen Rassismus ausspricht. Es gebe im Land eine stille Mehrheit, die gegenüber Flüchtlingen tolerant sei. Allerdings helfe es nicht, dass das Asylsystem so dysfunktional sei. »Chaos ist nicht gut für die Fürsprecher der Flüchtlingshilfe«, sagte Katwala.

Derzeit sind landesweit rund 32 000 Asylbewerber in Hotels untergebracht, 8 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Dass Hotels als Asylunterkünfte genutzt werden, ist der Tatsache geschuldet, dass der Rückstau an unbearbeiteten Asylanträgen so groß ist. Die Labour-Regierung hatte angekündigt, ein effizienteres Asylverfahren einzuführen. Innenministerin Yvette Cooper versprach, die Nutzung von Hotels zu beenden – bis 2029. Allerdings könnte ein Gerichtsentscheid diesen Zeitplan zunichtemachen: Der High Court erließ am Dienstag eine einstweilige Verfügung, laut der die 138 Asylbewerber, die in einem Hotel in Epping wohnen, innerhalb von 24 Tagen anderswo untergebracht werden müssen. Damit urteilte das Gericht zugunsten des Gemeinderates, der einen entsprechenden Antrag gestellt hatte.

Das Urteil ist eine schwere Niederlage für die Regierung, und ihre Gegner feierten es triumphierend. Nigel Farage sprach von einem »Sieg für die besorgten Anwohner«. Er hofft, dass der Fall als Inspiration diene. Die Regierung will Berufung einlegen; aber wenn das Beispiel Schule macht und auch andere Gemeinderäte die Schließung der Asyl-Hotels beantragen, könnte dies zu einem handfesten Problem werden: Das Innenministerium müsste innerhalb von Monaten neue Behausungen für Zehntausende Asylbewerber finden.

In Orpington heizt sich die Stimmung immer weiter auf. Von der Eisenbahnbrücke aus werden die Gegendemonstranten mit Eiern beworfen – sie verfehlen ihr Ziel, abgesehen von einem Reporter, dem die Hose versaut wird. Als sie am späten Abend abziehen, müssen die Antirassisten von Polizisten beschützt werden. Aggressive Pöbler mit England-Flaggen versuchen immer wieder vergeblich, zu ihnen vorzudringen und handgreiflich zu werden. Sie müssen sich mit Flüchen und Drohungen begnügen: »Das nächste Mal kriegen wir euch!« 

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