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Praktische Solidarität lernen
Sarah Yolanda Koss über die Entwicklung der Willkommenskultur
»Willkommen in Deutschland«, sang die Punkband Fahnenflucht auf ihrem Debütalbum zu Beginn der 2000er, »halts Maul und pass dich an, und schon bist du dabei«. Ihr ging es wohl damals wie heute darum, wie schnell Rechtsextremen in diesem Land Zugehörigkeit vermittelt wird. Ganz andere Ansprüche gibt es an Menschen, die sich ihre Wege über Grenzen hinweg hierhersuchen. Abgesehen von jenem kurzen Lichtblick im Sommer 2015, als die »Festung Europa« durch die Zivilgesellschaft und allem voran migrantische Kämpfe Risse erhielt und selbst eine – heute unvorstellbar – CDU-Kanzlerin unterstützende Durchhalteparolen in die Welt posaunte.
Zehn Jahre später feiert sich die Union, weil mehr Menschen, teils illegal, an Außengrenzen zurückgewiesen werden. Und Geflüchtete fühlen sich – oh Wunder – alles andere als willkommen. Die Diskriminierung zeigt sich auch strukturell am Arbeitsmarkt, wo die Beschäftigungsquote 2015 Zugezogener inzwischen beinahe gleichauf mit jener der Gesamtbevölkerung liegt – während sie dennoch nur 70 Prozent des Medianverdienstes erhalten. Kommt lieber nicht her, und wenn ihr doch hier arbeiten »dürft«, dann zu miserablen Konditionen, lautet die Botschaft. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung fordert deshalb mehr Qualifizierungsmaßnahmen. Aber auch hier, wie in vielen sozialen Bereichen, will die Bundesregierung ihrem Budget zufolge weiter kürzen.
Einmal mehr rufen die Zeiten nach einer starken Zivilgesellschaft. Allerdings nicht einer, in der »Lichterketten brennen, um das Gesicht nicht zu verlieren« (Fahnenflucht die Zweite). Sondern nach gelebter praktischer Solidarität. Einen Anfang könnten all jene Jobcenter-»Kund*innen« machen, die von den Kürzungen betroffen sind.
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