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Rente: Was ist das Drama?

An diesem Freitag entscheidet der Bundestag über die Rentenreform. Fünf Klarstellungen

  • Stephan Kaufmann, Sarah Yolanda Koss, Eva Roth
  • Lesedauer: 8 Min.
Bekommen die über 20 Millionen Rentner*innen in Deutschland zu viel vom volkswirtschaftlichen Kuchen? Zuletzt machten die Rentenausgaben gerade einmal 9,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.
Bekommen die über 20 Millionen Rentner*innen in Deutschland zu viel vom volkswirtschaftlichen Kuchen? Zuletzt machten die Rentenausgaben gerade einmal 9,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.

An diesem Freitag stimmt der Bundestag über das Rentenpaket der schwarz-roten Regierung ab. Das Rentenniveau soll demnach für einige Jahre stabil bleiben. Die Mütterrente III sieht zudem vor, dass Kindererziehungszeiten bei der Rente in gleicher Weise angerechnet werden, unabhängig davon, wann das Kind geboren ist. Über beide Vorhaben soll namentlich abgestimmt werden.

Marktliberale Ökonom*innen haben die Pläne über Monate scharf kritisiert und zuletzt sogar gefordert, sie zu stoppen. Begründung: Sie sind zu teuer. Auch die »Junge Gruppe« der CDU/CSU-Fraktion hat sich gegen das Rentenpaket gestellt. Aber wie entwickeln sich die Rentenausgaben eigentlich gemessen Bruttoinlandsprodukt, wenn das Rentenniveau stabil bleibt? Wie hoch sind die Altersbezüge im EU-Vergleich und welche Finanzierungsmöglichkeiten gibt es? Fünf Anmerkungen zur Rente.

Die Rentenausgaben explodieren nicht

Vielfach heißt es, durch die Alterung der Gesellschaft werde die gesetzliche Renten unbezahlbar. Denn relativ gesehen stehen immer weniger Arbeitende mehr Leistungsbeziehern gegenüber. Da sich die Rentenkasse im Wesentlichen aus den Löhnen der Arbeitenden – den Rentenbeiträgen – finanziert, müssten diese Rentenbeiträge immer weiter steigen, um die Rentner zu finanzieren. Ohne Gegenmaßnahmen werde der Rentenbeitragssatz von heute 18,6 Prozent bis 2050 auf 22 Prozent steigen. Dies sei den Lohnempfängern und den lohnzahlenden Unternehmen nicht zuzumuten, weswegen die Leistungen gekürzt werden müssten.

Es ist allerdings eine Vorentscheidung, als Finanzquelle der Rentenkasse die Beiträge der Arbeitnehmer zu wählen. Logischer wäre eigentlich, die gesamte Wirtschaftsleistung heranzuziehen. Denn nur sie erlaubt eine plausible Abschätzung darüber, ob die staatlichen Rentenausgaben gesamtwirtschaftlich leistbar erscheinen, so der Wirtschaftsweise Achim Truger. Und das scheinen sie durchaus.

Truger errechnet: Innerhalb der nächsten 57 Jahre steigt der Anteil der Ausgaben in der Gesetzlichen Rentenversicherung am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 9,6 Prozent auf 12,1 Prozent. Bleibt das Rentenniveau bei 48 Prozent, so steigt der Anteil der Renten am BIP auf 13 Prozent. Plus steigende Beamtenpensionen ergibt sich ein Wert von 13,5 Prozent. »Das ist zweifellos ein sehr deutlicher Anstieg«, so Truger. Auf die 57 Jahre bis zum Jahr 2080 verteilt, betrüge die jährliche Mehrbelastung allerdings weniger als 0,07 Prozent der Wirtschaftsleistung. »Solange ein solcher Anstieg in kleinen Schritten erfolgt, ist unklar, warum er gesamtwirtschaftlich nicht verkraftbar sein sollte«, so Truger.

Das Rentenniveau ist im EU-Vergleich sehr niedrig

Das Rentenniveau soll bis zum Jahr 2031 stabil bleiben und bei 48 Prozent liegen. Das sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, über den der Bundestag an diesem Freitag abstimmen will. Marktliberale Ökonom*innen sind dagegen Sturm gelaufen, und zwar über Monate. Sie halten das Vorhaben für zu teuer. Auch die »Junge Gruppe« der CDU/CSU-Fraktion lehnt den Gesetzentwurf ab. Vermutlich wird er dennoch beschlossen. Auch, weil die Linkspartei angekündigt hat, sich zu enthalten. Dadurch braucht Schwarz-Rot weniger eigene Ja-Stimmen, um das Vorhaben durchzubringen. Die »Junge Gruppe« ist für die Abstimmung nicht mehr so wichtig.

Die Gegner skandalisieren ein Rentenniveau als zu hoch, das Millionen Menschen nur bescheidene Alterseinkünfte sichert und das auch im internationalen Vergleich sehr niedrig ist. Das kann man in Berichten der Industrieländerorganisation OECD nachlesen. Dort wird aufgelistet, welche Rente junge Beschäftigte erhalten, die lebenslang einen Durchschnittslohn bekommen haben und bis zum gesetzlichen Rentenalter berufstätig sind. In Österreich können solche Beschäftigte mit einer Nettorente in Höhe von 87 Prozent ihres Nettolohns rechnen, im EU-Durchschnitt sind es 68 Prozent – und in Deutschland nur 53 Prozent. Selbst das ist den Neinsagern noch zu viel.

Die tatsächliche Durchschnittsrente betrug hierzulande zuletzt gerade einmal 1154 Euro, nach Abzug der Sozialbeiträge und vor der Besteuerung.

PS: Das Rentenniveau von 48 Prozent bedeutet: Wer 45 Jahre lang einen Durchschnittslohn erhalten hat und dieses Jahr in Ruhestand geht, erhält eine Rente, die 48 Prozent des diesjährigen Durchschnittslohns entspricht. Betrachtet werden Gehälter und Renten vor der Besteuerung. Die OECD vergleicht hingegen Netto-Bezüge nach der Besteuerung.

Länger, mehr, neu verteilt: Alternative Vorschläge zur Finanzierung

Vieles bleibt im Entwurf zum Rentenpaket unklar, insbesondere die Finanzierung eines stabilen Rentenniveaus. Im Raum stehen Beitragserhöhungen, eine stärkere Bezuschussung über den Bundeshaushalt und damit einhergehende Steuererhöhungen oder eine zusätzliche Finanzierung über den Aktienmarkt. Weitere Optionen sind mehr Personen, die in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen – und Umverteilung.

Die Bundesregierung kokettiert vorrangig mit längeren Lebensarbeitszeiten, damit mehr Personen über die aktuelle Altersgrenze hinaus Beiträge einzahlen. Allerdings kann vor allem eine Minderheit jener Menschen mit guter Gesundheit, mit höherem Ausbildungsniveau und ohne anderweitige Verpflichtungen wie Pflege überhaupt im höheren Alter erwerbstätig sein. Derzeit arbeiten zudem überdurchschnittlich viele Selbstständige über die Regelaltersgrenze hinaus. Sie zahlen nur zu geringen Teilen in die gesetzliche Rentenversicherung ein.

Das zu ändern, wäre eine andere Möglichkeit. Die Mehrheit der Selbstständigen ist für die Einführung einer solchen »Erwerbstätigenversicherung« – auch, weil sie oft nicht in der Lage sind, privat für das Alter vorzusorgen. Beamte, die eine derartige Reform ebenso betreffen würde, erwärmen sich dagegen nur zu 30 Prozent dafür. Je höher das Einkommen, desto geringer die Zustimmung. Mehr Personen könnten auch über Einwanderung einbezogen werden. Sie stemmt bereits einen großen Beitrag zur Sicherung des Rentenniveaus. Die Zahl der Menschen, die nach Deutschland kommen, nimmt allerdings seit 2022 rapide ab. Um das zu ändern, müsste zum Beispiel der Zugang zu gut bezahlten sozialversicherungspflichtigen Erwerbsarbeitsverhältnissen leichter werden.

Einen kreativen Lösungsvorschlag unterbreitete das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung mit dem sogenannten »Boomer-Soli«. Dortige Expert*innen schlugen eine Sonderabgabe auf alle Alterseinkünfte vor, die einkommensschwache Rentner*innen entlasten soll. Anders als bei einer Wiedereinführung einer Vermögensteuer oder einer Scharfstellung der Erbschaftssteuer, weitere Optionen, würde hierbei nur innerhalb der älteren Generation umverteilt.

Altersvorsorge mit Finanzanlagen: Zauberformel mit Tücken

Um Kürzungen bei der gesetzlichen Rente auszugleichen, wird den Menschen empfohlen, Geld an den Kapitalmärkten anzulegen. Aktien und festverzinsliche Papiere sollen per Dividenden, Zinserträgen und Kursgewinnen die Rentenlücken stopfen. Für die Unternehmen ist das eine günstige Idee. Denn während die Lohnabhängigen zusätzliche Teile ihres Einkommens für die Vorsorge aufwenden müssen, also eigenverantwortlich ihren Konsum beschränken, bleiben die Unternehmen verschont.

Daneben hat die Vorsorge über Finanzanlagen ihre Tücken. Zwar werden hohe jährliche Renditen von fünf Prozent und mehr vorausgesagt. Diese Prognosen aber beruhen auf Renditen der vergangenen Jahrzehnte. Und in denen lief die Wirtschaft über lange Zeit sehr gut. Das ist für die Zukunft kaum zu erwarten – die Kapitalmarkterträge dürften also weniger hoch ausfallen als erhofft. Zudem besteht das Risiko von Finanzkrisen, die die Kapitalmarkterträge kurz vor Renteneintritt empfindlich schmälern können. Das Risiko von Finanzkrisen hat durch die geopolitischen Spannungen noch zugenommen, mahnt der Internationale Währungsfonds (IWF).

Und schließlich bleibt die Frage: Selbst wenn hohe Kapitalmarktrenditen erzielt werden und die deutschen Vorsorgesparer dann in einigen Jahrzehnten über riesige Geldvermögen verfügen – wird es dann die entsprechenden Güter geben, von denen die Menschen leben können? Schließlich sind hohe Vermögen lediglich ein finanzieller Anspruch auf Ressourcen in entsprechender Höhe, auf Anteile an der Wirtschaftsleistung, erklärt der Wirtschaftsweise Truger. Damit sie eingelöst werden können, müsste entweder die deutsche Wirtschaft tatsächlich viel mehr produzieren, was fraglich ist. Oder der Bedarf müsste aus dem Ausland per Import gedeckt werden. »Das aber«, so Truger, »setzt wiederum voraus, dass es in 50 Jahren überhaupt noch einen freien Welthandel gibt, was geopolitisch vollkommen unvorhersehbar ist.«

Renten nach 2031: Wie geht es weiter?

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht davon aus, dass das Rentenniveau nach 2031 sinkt, bis zum Jahr 2035 auf 46,7 Prozent. Damit würde das Niveau ein Prozentpunkt höher liegen als nach bislang geltendem Recht. Genau dagegen hat sich die »Junge Gruppe« in der CDU/CSU-Fraktion gestellt: Diese geringere Absenkung verursache Milliarden an Folgekosten, die gegenüber der jungen Generation nicht zu rechtfertigen seien, behaupteten die Unionspolitiker.

Dieser Erzählung vom »Generationenkonflikt« widersprach nicht nur die DGB-Jugend, sondern auch der Jugendverband des Koalitionspartners. So sagte Juso-Chef Philipp Türmer: Der Unionsnachwuchs spreche nicht für seine Generation, sondern führe die Debatte »aus der Perspektive von Trustfund-Babies, die Barbour-Jacken tragen« – also von jungen Leuten, die vom Vermögen ihrer Familie leben.

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In der gesamten schwarz-roten Koalition gibt es unterschiedliche Vorstellungen, wie es langfristig mit der Rente weiter gehen soll. Das zeigt auch ein Papier, das der Koalitionsausschuss kürzlich beschlossen hat. Darin stehen Prüfaufträge an die geplante Rentenkommission, die Vorschläge für weitere Reformen machen soll. Das Gremium soll sich beispielsweise mit einer längeren Lebensarbeitszeit befassen, aber auch mit einem Ausbau der Grundrente und der Frage, ob weitere Gruppen in die Rentenversicherung einbezogen werden sollten.

Das Papier sollte eigentlich der »Jungen Gruppe« entgegenkommen, stieß dann aber bei anderen CDU-Politikern auf Widerstand, weil eine Passage so verstanden werden kann, dass das Gremium überlegen darf, ob künftig auf Kapitalerträge Rentenbeiträge erhoben werden sollten. Das Papier wird nun nicht dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt, die Kommission wird unabhängig davon eingesetzt und der politische Kampf um die soziale Absicherung älterer Menschen geht weiter.

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