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Weiche, Satan!
Satanismus ist jetzt in Russland als »extremistische Bewegung« verboten. Skurril? Kann aber ernsthafte Konsequenzen haben
Das Oberste Gericht Russlands hat am 23. Juli ein Verbot gegen die Internationale Bewegung »Satanismus« ausgesprochen. Der Richter Oleg Nefedow stimmte den Argumenten von Staatsanwaltschaft, Justizministerium und Experten wie Roman Silantjew zu, der im Auftrag der Kirche und des Staates zu »destruktiven Ideologien« forscht, es handele sich bei Satanismus um eine »extremistische Bewegung«, die Hass auf »traditionelle Religionen« schüre, eng mit Nationalismus und Neonazismus verbunden sei und rituelle Morde begehe.
Das Verbot setzt eine Tendenz fort, Bewegungen, Subkulturen oder von einer wie auch immer definierten Norm abweichende Identitäten zu extremistischen Organisationen mit Mitgliedschaft und Symbolik zu erklären. Was US-Präsident Donald Trump 2020 mit seinem Versuch, Antifa zur einer »terroristischen Organisation« zu erklären vormachte, wendet der russische Staat immer häufiger an. Als »extremistische Organisationen« gelten inzwischen LGBTQ, die Bräuche von Berufskriminellen verherrlichende »Subkultur« A.U.E. sowie »Antirussländische separatistische Bewegungen«, worunter alle nichtrussische Nationalismen oder regionale Autonomiebestrebungen zusammengefasst werden können. Etwas weniger hart traf es die »Child-Free-Ideologie« (gewollte Kinderlosigkeit): Seit Ende 2024 ist zwar deren Propaganda verboten, aber immerhin gilt sie nicht als »extremistische Organisation«.
Der Fall von Satanismus wirft viele Fragen auf. Es bleibt unklar, was alles unter das Verbot fällt. Die russisch-orthodoxe Kirche, deren Oberhaupt Patriarch Kirill bereits im Januar das Verbot forderte, sowie wertkonservative Politiker bezeichnen alle möglichen missliebigen gesellschaftlichen Phänomene als Erscheinungen des Satanismus.
Gleichzeitig soll Satanismus konkret das Anbeten des Teufels bedeuten. Etliche okkulte Gruppen bekennen sich selbst zum Satanismus, und viele davon lehnen gerade personifizierte Vorstellungen von »Satan« und seine kultische Verehrung kategorisch ab. Andere wiederum verehren »Luzifer« als »Lichtbringer« und lehnen sein negatives Bild im Christentum ab. Dazu kommen neue religiöse Bewegungen, die sich selber nicht dem Satanismus zurechnen, aber behaupten, Hexerei oder »schwarze Magie« zu praktizieren, was in den christlichen Vorstellungen mit Satan in Verbindung gebracht wird. Neoheidnische Gruppen, Anhänger traditioneller Religionen in verschiedenen Regionen Russlands, aber auch Jesiden können aus der Perspektive von Christentum oder Islam als »Teufelsanbeter« betrachtet werden, ohne sich selbst jeweils als solche zu sehen.
In Russland hat sich 2016 eine Organisation namens Kirche des Satans der Russischen Föderation (ZSRF) registrieren lassen. In Moskau agiert bis heute der »Club Castalia«, der sich unter anderem mit den Lehren von Aleister Crowley, einem britischen Okkultisten, beschäftigt.
Eine Welle von Gründungen »neosatanistischer« Organisationen begann in den 60er Jahren; Anton Szandor LaVey gründete 1966 die Church of Satan (CoS) und verfasste drei Jahre später »Satanic Bible«. 1975 spaltete sich von CoS die Bewegung Temple of Set (ToS) unter Michael A. Aquino ab, die es mit dem okkultistischen Programm wesentlich ernster meint. Luziferianistischer und theistischer Satanismus, die den Glauben an die Existenz »gefallener Engel« beziehungsweise an »Herren der Dunkelheit« vertreten, haben ebenfalls etliche Organisationen hervorgebracht, wie Temple of the Black Light (ToBL).
Etliche satanistische Organisationen sind mit rechtsradikalen Kreisen verbunden, darunter bekannte Neonazis wie der Finne Pekka Siitoin oder der verurteilte Mörder Hendrik Möbus. Organisationen wie ToBL und bekennen sich zu Rassismus und Antisemitismus; starkes Interesse am Nationalsozialismus war auch in der Führung von ToS zu beobachten. Bekannteste Organisation des rechtsradikalen Satanismus ist Order of Nine Angles (ONA/O9A). Die Mitglieder des lange Zeit von dem britischen Neonazi David Myatt angeführten Netzwerks nahmen an mehreren rechtsradikalen Terroraktionen teil.
Auch in Russland gibt es rechtsradikale Satanisten. Bereits in den 90er Jahren hatte die Gruppe Südkreuz/Moskauer Kirche des Satans Kontakte in die rechte Szene. Doch einige der heutigen rechten Satanisten, zum Beispiel der als Warrax bekannte Andrei Borzow, sind bisher durchaus staatstreu gewesen, auch was die Haltung zum Krieg gegen die Ukraine angeht. Andere kämpfen nun angeblich auf der Seite der Ukraine in der »Misanthropic Division«.
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Gleichzeitig spielt das Feindbild der angeblichen »satanistischen Verschwörung« innerhalb der Eliten bei den radikalen Rechten spätestens seit der Covid-Pandemie eine große Rolle, weswegen Warnungen vor »gefährlichen Satanisten« häufig von Anhängern der Verschwörungserzählungen ausgehen. Es gab auch Versuche von links, den Satanismus für sich zu reklamieren. 1997 entstand eine Gruppe namens Satanic Reds, 2013 gründeten progressive Aktivisten The Satanic Temple (TST) – eine Organisation die für das Recht auf Abtreibung, für sexuelle Befreiung und Atheismus eintritt und sichtbar den religiösen Diskurs karikiert. Der nach eigenen Angaben weltweit 700 000 Mitglieder zählende TST wurde in Russland im Dezember vergangenen Jahres als eine »unerwünschte Organisation« gelistet.
Das nun verhängte Verbot sieht Haftstrafen zwischen sechs und zehn Jahren für die Organisatoren der extremistischen Organisationen vor und zwischen zwei und sechs Jahren für die Mitgliedschaft. Ebenfalls strafbar sind die Nutzung der Symbolik und das Verlinken der Inhalte. Wie die Partei Sozialdemokraten Russlands (SDR) in ihrem Telegramkanal schreibt, können jederzeit Musikgruppen, Bars, Clubs, Tattoo-Salons, Schmuckgeschäfte sowie Angehörige verschiedener Subkulturen oder Liebhaber von Horrorfilmen auf Grundlage des Gesetzes belangt werden.
In welche Richtung die Rechtspraxis gehen kann, zeigt der Fall von Ilja Schurawljew in Uljanowsk, der Ende 2024 durch die Medien ging. Der Direktor eines Dialyse-Zentrums soll seine männlichen Kollegen zu sexuellen Handlungen genötigt haben – laut Inlandsgeheimdienst FSB soll er gestanden haben, dadurch »Satan anbeten« zu wollen. Zusätzlich zu drei Jahren Haft wurde Schurawljew in das Register von »Terroristen und Extremisten« aufgenommen.
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