Indonesien: Sturm auf die Abgeordneten-Privilegien

In Indonesien weiten sich die Proteste gegen die Parlamentarier aus

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 4 Min.
Duck und weg: Indonesiens Polizei igelt sich gegen den Zorn der Straße ein.
Duck und weg: Indonesiens Polizei igelt sich gegen den Zorn der Straße ein.

Ein brennendes Parlamentsgebäude, wütende Demonstrierende: Indonesien erlebt eine seiner schwersten Protestwellen seit Jahren. Die Unruhen stellen Präsident Prabowo Subianto nur wenige Monate nach seinem Amtsantritt vor eine erste große Bewährungsprobe. Seine für diese Woche geplante Reise nach China hat Subianto abgesagt. Aufgrund der Proteste, bei denen inzwischen mehrere Regionalparlamente in Flammen standen, erklärte die Regierung, der Präsident müsse im Land bleiben.

Die aktuellen Demonstrationen hatten am Montag vergangener Woche begonnen, nachdem bekannt geworden war, dass alle 580 Abgeordneten zusätzlich zu ihren Gehältern eine monatliche Wohnzulage von 50 Millionen Rupiah (rund 2600 Euro) erhalten – fast zehnmal so hoch wie der Mindestlohn in Jakarta. Für viele Indonesierinnen und Indonesier ist dies Ausdruck einer politischen Elite, die sich in Zeiten hoher Lebenshaltungskosten von den Sorgen der Bevölkerung abkoppelt.

Dorfwächter sollen für Ruhe sorgen

In Bali mobilisierten die Behörden nach gewaltsamen Ausschreitungen am Wochenende in der Inselhauptstadt Denpasar jetzt traditionelle Dorfwächter, die sogenannten »Pecalang«, um Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, wie die staatliche Nachrichtenagentur Antara berichtete.

Die unbewaffneten Dorfwächter, die in der Kultur Balis tief verwurzelt sind und extrem hohes Ansehen genießen, sollen anderen Einsatzkräften dabei helfen, die Ruhe und die für Bali überlebenswichtige Tourismusbranche vor weiteren Störungen zu schützen. Sie gelten als moralische und gleichzeitig gewaltfreie Autorität.

Polizeifahrzeug tötet jungen Mann

Jenseits von Bali kam es zu einem tragischen Todesfall. Ein 21-jähriger junger Mann wurde von einem gepanzerten Polizeifahrzeug überrollt und getötet. Er war Berichten zufolge gerade dabei, Essen auszuliefern, als er in die Auseinandersetzungen geriet. Zeugen berichteten, das Fahrzeug sei plötzlich durch die Menge gerast und habe ihn erfasst, ohne danach anzuhalten. Sein Tod befeuerte die ohnehin angespannte Lage und machte die Proteste zu einem Symbol für staatliche Gewalt und Willkür.

»Ich war schockiert und enttäuscht über das exzessive Vorgehen der Beamten«, sagte Präsident Subianto später in einer Fernsehansprache. »Ich bin tief besorgt und zutiefst betrübt über diesen Vorfall.« Er kündigte eine umfassende Untersuchung an und rief die Bevölkerung zur Ruhe auf. Die folgenden Unruhen, bei denen drei Menschen starben, wurden durch ein Video ausgelöst, das den Vorfall zeigte und in den sozialen Medien kursierte.

Völlig neu ist der Widerstand gegen die Regierung nicht. Bereits in den vergangenen Wochen hatten Medien über ein ungewöhnliches Symbol des Protests berichtet, das die Unzufriedenheit vor allem junger Menschen zum Ausdruck bringen sollte: An Häuserwänden in Jakarta tauchte immer häufiger die »Jolly-Roger«-Flagge aus der japanischen Anime-Serie One Piece auf. Unter dem Hashtag #IndonesiaGelap (»dunkles Indonesien«) verbreiteten Jugendliche das Motiv in den sozialen Medien. Für viele war es Ausdruck tiefer Frustration.

Präsident Subiano ist hochumstritten

Präsident Subianto selbst ist eine hochumstrittene Figur: Als Schwiegersohn Suhartos und ehemaliger General wurde er 1998 wegen Menschenrechtsverletzungen aus dem Militär gedrängt, Australien setzte ihn zeitweise auf eine schwarze Liste, die USA verhängten ein Einreiseverbot.

Besonders umstritten ist das von seiner Regierung geplante Projekt einer »neuen nationalen Geschichtsschreibung«. Kritiker befürchten, dass darin zentrale Ereignisse wie die Massenmorde von 1965 bis 1969 verharmlost oder verschwiegen werden. In dieser Zeit wurden im Land etwa eine Million Menschen umgebracht, häufig mit Beilen und Knüppeln. Der von der US-Regierung unterstützte antikommunistische Massenmord findet heute wenig Beachtung. »Große Besorgnis« äußerte etwa Andreas Harsono von Human Rights Watch: Menschenrechtsverletzungen könnten so aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden. Historiker warnten vor einer gefährlichen Rückkehr zu einer staatlich kontrollierten Geschichtserzählung, ähnlich wie unter Suharto.

Für Präsident Subianto ist die Eskalation der Proteste nun ein frühes Warnsignal. Sie zeigt, dass viele Indonesier nicht länger bereit sind, Misswirtschaft, Korruption und staatliche Gewalt stillschweigend hinzunehmen.

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