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DFB-Team: Julian Nagelsmann kontert seine eigene Revolution
Die deutschen Fußballer erinnern beim 0:2 gegen die Slowakei an ihre dunkelsten Tage
All das, worüber Julian Nagelsmann am späten Donnerstagabend in Bratislava nachdachte, hätte er sich sparen können. Das Unverständliche daran ist: Der Bundestrainer weiß es eigentlich besser – und hat es bereits auf durchaus beeindruckende Art bewiesen. Nun lässt ihn ein in jeder Hinsicht inakzeptabler Auftritt seines DFB-Teams sagen, dass alles »dunkel« war. Tatsächlich erinnerte das 0:2 gegen die Slowakei an die düsteren Tage der deutschen Nationalmannschaft unter Joachim Löw und Hansi Flick.
Struktur und System
Die erste Partie der neuen Länderspielsaison sollte zugleich der erste Schritt zum WM-Titel sein. Mit neuer Struktur und verändertem System sollten defensive Sicherheit und spielerische Dominanz den Weg zurück in die Weltspitze vollenden, den Nagelsmann zweifelsohne hoffnungsvoll vorgegeben hat. Doch nach 90 Minuten gegen den 52. der Weltrangliste ist die Angst groß, allein die Qualifikation für die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr zu verpassen. Gegen die Slowakei fehlte alles: Ohne jegliche spielerische Lösungen gelang es der DFB-Elf nicht, den Gegner unter Druck zu setzen und mehr als nur zwei zwingende Torchancen zu erarbeiten. Die Defensive war dagegen so wacklig, dass sich die slowakische Mannschaft den Vorwurf mangelnder Chancenverwertung gefallen lassen muss. Der verdiente Lohn ihrer Arbeit waren die Tore von David Hancko und David Strelec, drei Minuten vor und zehn Minuten nach dem Pausenpfiff.
Die Bankrotterklärung seines Systemwechsels gab der Bundestrainer zu Beginn der zweiten Halbzeit ab: Weil der 21-jährige Rechtsverteidiger Nnamdi Collins bei seinem DFB-Debüt überfordert war, stand auf dieser Position in der Viererkette plötzlich Maximilian Mittelstädt – ein Linksfuß, der den rechten nur braucht, um nicht umzufallen. Der 28-Jährige gab nach seinem Seitenwechsel das Beste, blieb aber augenscheinlich eine Notlösung. Später lud Nagelsmann alle dazu ein, sich für diese Position »mit guten Leistungen anzubieten«. Das klang schon arg verzweifelt.
Logische Lösung
Joshua Kimmich ist nicht die einzige Alternative unter Fußballern mit einem deutschen Pass, aber als einer der weltbesten Rechtsverteidiger die logischste Lösung auf dieser Position. Das sah übrigens auch Nagelsmann im März 2024 so, als er mit seiner damaligen Kadernominierung eine kleine Revolution angezettelt hat, mit der er rückblickend die jahrelange Lethargie unter Löw und Flick erfolgreich bekämpfen konnte. Neben der Versetzung von Kimmich aus dem Mittelfeldzentrum auf die rechte Abwehrseite zählte damals vor allem die Nichtberufung einiger etablierter Spieler zu der entscheidenden und letztlich gewinnbringenden Maßnahme. Dazu gehörte auch Leon Goretzka. Und noch heute zählen Nagelsmanns einstige Worte: »Es gibt keinen besseren Rechtsverteidiger als Joshua Kimmich in Deutschland. Und generell haben wir auf der Sechs viel weniger Probleme als rechts hinten.«
Die Außenverteidiger, egal ob in einer defensiven Dreier- oder Fünferkette, haben angesichts der allerorts zu beobachtenden Fokussierung in der Offensive auf schnelle Flügelspieler an Bedeutung hinzugewonnen. Allein deshalb ist Kimmichs erneute Versetzung fragwürdig. Nach der Partie gegen die Slowakei kritisierte der Kapitän das »fehlende Tempo« im deutschen Spiel. Er hat recht – und ist gleichzeitig selbst dafür verantwortlich. Im Spielaufbau ließ sich Kimmich immer wieder zwischen die beiden Innenverteidiger Antonio Rüdiger und Jonathan Tah fallen, spielte dann einen Sicherheitspass nach links, den anderen nach rechts, fehlte aber im Mittelfeldzentrum, um wirklich Einfluss auf das Spiel nehmen zu können.
Misserfolg mit Mittfeldduo
Gute Gründe hatte Nagelsmann damals auch, Goretzka aus dem Kader zu werfen. Als Mittelfeldduo gehörten er und Kimmich zu den Gesichtern des andauernden deutschen Misserfolgs, auch beim FC Bayern standen sie oft in der Kritik. Am Donnerstagabend waren sie im DFB-Team wieder vereint – und das träge, ideenlose Mittelfeldspiel zurück. Ein Jahr lang war es vergessen, bis Nagelsmann Goretzka im März 2025 wieder im Nationaltrikot spielen ließ, wegen dessen Torgefahr, begründete der Bundestrainer. Ja, auch in Bratislava hatte der 30-Jährige die beste deutsche Chance, vergab sie aber. Sind 15 Tore in elf Jahren Nationalmannschaft wirklich ein Argument? Nein. Und schon gar nicht, wenn das gesamte Spiel darunter leidet.
Wenn mit Nick Woltemade, Florian Wirtz und Serge Gnabry drei Angreifer auf dem Platz sind, braucht es nicht noch einen Goretzka, der wild in alle offensiven Räume rennt, das wichtige Mittelfeldspiel aber in keiner Weise bereichert. Gegen die Slowakei fehlten ja auch die entscheidenden, Torgefahr erzeugenden Pässe. Doch wer soll sie spielen, wenn Goretzka irgendwo im Strafraum und Kimmich in der Defensive zu finden ist? Genau das führt zu dem Problem, welches Nagelsmann eigentlich beheben wollte: Sicherheit und Stabilität im Zentrum. Diese hatte er gegen Weltklassegegner wie Portugal und Frankreich in der Nations League vermisst. In Bratislava, gegen eine gute, in ihren Mitteln jedoch beschränkte slowakische Mannschaft, sind sie vollends verloren gegangen.
Akute Maßnahmen
Weil dem Bundestrainer am Donnerstagabend auch »die Emotionen« gefehlt haben, dachte er in der Konsequenz laut darüber nach, im mannschaftsdienlichen Sinne auf »weniger Qualität« zu setzen. Ja Julian, will man ihm zurufen, mach es wie im Frühjahr 2024, sei mutig. Damals nahm er keine Rücksicht auf große Namen, sondern stellte »eine Gruppe«, wie er oft formulierte, zusammen, die letztlich im Viertelfinale der EM auf Augenhöhe mit dem späteren Europameister Spanien gespielt hat. Als akute Maßnahme böte sich ein Rechtsverteidiger Kimmich an, auch Mittelfeldspieler im aktuellen Kader wie Robert Andrich, Pascal Groß oder Paul Nebel könnten am Sonntag in Köln zur Besserung beitragen. Ein Sieg in der Qualifikation gegen Nordirland sollte es dann schon sein, wenn man Weltmeister werden will.
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