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»Die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung ist völlig absurd«
Rechtsanwalt Lukas Theune beleuchtet den Fall des Angeklagten Mehmet Karaca
Seit November 2024 sitzt Ihr Mandant Mehmet Karaca in Untersuchungshaft, weil er der PKK angehört haben soll. Der Prozess gegen Karaca beginnt am 8. September vor dem Berliner Kammergericht. Was genau wird ihm vorgeworfen?
Ihm wird die Mitgliedschaft in der PKK vorgeworfen. Nach Ansicht des Generalbundesanwalts (GBA) soll es sich bei der PKK um eine terroristische Vereinigung im Ausland handeln. Für diese soll Herr Karaca von 2014 bis 2024 aktiv gewesen sein. Das Absurde an dem Vorwurf ist, dass der GBA für die Zeit von 2016 bis Mitte 2024 überhaupt keine Beweise dafür vorträgt.
Was erwarten Sie vom Prozess gegen Mehmet Karaca?
Ich bin sehr gespannt, wie das Gericht – insbesondere der neue Vorsitzende – mit der Anklage umgehen wird. Sicherlich wird auch eine Rolle spielen, dass die PKK Anfang des Jahres ihre Auflösung beschlossen hat.
Mehmet Karaca sitzt seit November 2024 in Untersuchungshaft – zehn Monate ohne Verurteilung. Wie bewerten Sie diese lange U-Haft-Dauer?
Das ist schon außergewöhnlich. Normalerweise muss ein Prozess, wenn jemand in Untersuchungshaft sitzt, spätestens nach sechs Monaten beginnen. Die Verzögerung liegt hier vor allem am Bundeskriminalamt, das sich bei den Ermittlungen sehr viel Zeit gelassen hat.
Der Berliner Anwalt Lukas Theune spricht im Interview über politische Einflussnahme, fragwürdige Haftbedingungen und seine Forderung nach einem Ende des PKK-Verbots. Theune ist Geschäftsführer des Republikanischen Anwält*innenvereins.
Der Prozess beginnt am 8. September vor dem Berliner Kammergericht. Mit welchem Strafmaß rechnen Sie, falls es zu einer Verurteilung kommt?
Vorherige Verurteilungen endeten häufig mit Freiheitsstrafen um die zwei Jahre – mal mit, mal ohne Bewährung. Aber jeder Fall ist anders. Derzeit ist es nicht möglich, einen Ausgang zu prognostizieren.
Mehmet Karaca ist einer von vier Kurden, die im vergangenen November gleichzeitig festgenommen wurden. Kurz zuvor, im Oktober, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz Ankara besucht. Türkische Medien berichteten damals, Präsident Recep Tayyip Erdoğan habe am Rande des Treffens erklärt, man habe sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen »terroristische Organisationen« geeinigt. Er teile mit Scholz die Erwartung, »dass in diesem Bereich konkrete Schritte unternommen werden«. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen diesen Festnahmen, der Scholz-Reise und seiner Vereinbarung mit den türkischen Behörden?
Absolut. Dieses Vorgehen der deutschen Ermittlungsbehörden ist seit Jahren zu beobachten: Immer, wenn Präsident Erdoğan sich öffentlich beschwert, werden hierzulande wieder kurdische Aktivist*innen festgenommen.
Die Haftbedingungen Ihres Mandanten waren zeitweise drastisch: Duschen nur alle 14 Tage, eine Stunde Sport pro Woche, stark eingeschränkte Besuchszeiten. Wie bewerten Sie diese Behandlung eines noch nicht verurteilten Menschen?
Das ist eine Besonderheit in Verfahren nach Paragraf 129b Strafgesetzbuch. Hier werden härteste Haftbedingungen bis hin zur Trennscheibe bei Besuchen der Anwälte gegen Menschen angewandt, die erkennbar nicht gefährlich sind. Selbst die Bediensteten in der JVA, die Herrn Karaca sehr mögen, finden dieses strenge Haftregime völlig absurd.
Haben sich die Haftbedingungen inzwischen verbessert? Wie geht es Ihrem Mandanten aktuell?
Ihm geht es gut. Er blickt kämpferisch auf das Verfahren. Wichtiger als sein eigenes Wohlergehen ist ihm allerdings, dass der Friedensprozess in der Türkei nun endlich vorangeht und die türkische Regierung ihre Versprechen umsetzt.
Sie fordern die Aufhebung des seit 1993 geltenden PKK-Verbots – und das nicht erst seit der kürzlich verkündeten Auflösung der Organisation. Warum?
Die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in Deutschland ist völlig abwegig. Die Bundesregierung erkennt an, dass sich die Kurd*innen friedlich und demokratisch verhalten – behauptet aber gleichzeitig, das könne sich jederzeit ändern. Diese Behauptung wird nach Jahrzehnten friedlichen demokratischen Verhaltens immer absurder. Spätestens jetzt, wo die PKK ihre eigene Auflösung beschlossen hat, wäre es an der Zeit, dass Deutschland warmen Worten auch Taten folgen lässt und die Kriminalisierung der kurdischen Minderheit in Deutschland endlich beendet.
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