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»Autosaurus« versenkt
Protestcamp gegen Automesse IAA als Ort des Austauschs und des Lernens
Mit Mietpreisen von durchschnittlich mehr als 20 Euro pro Quadratmeter ist München Deutschlands teuerste Großstadt. »Wohnraum statt Hubraum« stand daher auf einem Banner, mit dem das Netzwerk Extinction Rebellion vergangene Woche auf dem Marienplatz gegen die Ausstellung von Nobelkarossen in der Innenstadt protestierte.
Ein »Autosaurus« aus Pappmaché wurde dann zum Auftakt der IAA Mobility am Dienstag im Messesee versenkt. Motorisierter Individualverkehr ist ein Auslaufmodell, so die Botschaft der Performance des Netzwerks Attac, das auch mit Fake-Plakaten in der bayerischen Landeshauptstadt gegen das »Greenwashing« der Messe protestiert. »Er säuft und säuft und säuft«, heißt es darauf über einen Hybrid-SUV, während die IAA Mobility nicht mehr als reine Automesse gesehen werden will und neben Verbrennern, Elektro- und Hybrid-SUVs auch hochpreisige Fahrräder präsentiert.
Mit Stör- und Abseilaktionen muss gerechnet werden; die Hochglanz-Pavillons der IAA in der Münchner Innenstadt werden von der Polizei und privaten Sicherheitsdiensten bewacht. Deren Mitarbeiter unterhalten sich teils auf Arabisch. Ihre Angehörigen fallen wohl selbst unter das Stichwort »Mapa«, wie es auf dem Mobilitätswende-Camp der Protestgruppen heißt: »Most affected people and areas« – die am meisten von der Klimakrise betroffenen Menschen und Regionen im Globalen Süden.
Dass an der Autoindustrie direkt und indirekt viele Jobs hängen, dass es Angestellten anderer Branchen zum Teil schwer gemacht wird, ihre Arbeitsplätze ohne Auto zu erreichen, und wie diese Menschen trotzdem als Verbündete gewonnen werden können, ist Thema vieler Diskussionen. Zahlreiche Gruppen der Klima-, Umwelt- und Verkehrswende-Bewegung haben ihre Zelte im Münchner Luitpoldpark aufgeschlagen. Bis zu 500 Personen sollen am Wochenende hier übernachten. Das Camp ist Ausgangspunkt von Protesten, aber auch ein Ort des Austauschs und der Reflexion.
»Wir kritisieren nicht die Leute, für die Autofahren alternativlos erscheint«, betont Michael Jäger. Es sei eine Frage der Verkehrspolitik, was gefördert werde und was nicht oder zu wenig. Wohlhabend sei nicht eine Gesellschaft, in der die Armen Auto fahren, sondern eine, in der auch die Reichen Bus und Bahn fahren, zitiert der Camp-Pressesprecher sinngemäß Enrique Peñalosa, den früheren Bürgermeister von Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens.
Eine gut verständliche Sprache sei wichtig, um diese Zusammenhänge zu vermitteln und die Klimabewegung aus der »akademischen Bubble« zu holen, sagt Lisa Poettinger, als sie in einem der Gemeinschaftszelte auf dem Camp ihr Buch »Klimakollaps und soziale Kämpfe« vorstellt. Es sei aus ihrer Abschlussarbeit in Environmental Studies entstanden, so die 28-Jährige – ihr 14-jähriger Halbbruder habe geholfen, die Sprache verständlich zu machen. »Nach ein paar Jahren Studium merkt man selber nicht mehr, wie verkorkst man eigentlich spricht«, sagt die Aktivistin, die ihr Lehramtsstudium wegen eines Berufsverbots zurzeit nicht in die Praxis umsetzen kann. Ihre Aussagen über »die Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima« waren zu links für die bayerische Staatsregierung. Ihre Aussagen über »die Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima« waren zu links für die bayerische Staatsregierung. Das Kultusministerium beanstandet zudem ihre Teilnahme am »Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen München«, das der Verfassungsschutz als »linksextremistisch« einschätzt. Sie selbst nennt als Ziel einen »ökologischen demokratischen Sozialismus«. Denn grenzenloses Wachstum, wie es der Kapitalismus fordert, stoße irgendwann an planetare Grenzen – zuerst und am meisten würden diejenigen darunter leiden, die am wenigsten dazu beigetragen hätten.
Allgemeine Appelle zum Konsumverzicht und die gezielte Verteuerung klimaschädlicher Lebensmittel hält Poettinger für einen Irrweg: »Klimapolitik über den Geldbeutel trifft durchaus die Falschen.« Sie selbst sei zwar Veganerin und fahre viel mit dem Rad, weil es sich für sie besser anfühle und auch nach außen glaubwürdiger wirke. Sie sehe es aber kritisch, wenn die lohnabhängige Bevölkerung mit Klischees wie der »jungen, hippen Frau, die Salat isst« und »dem fleischfressenden Dorfdulli« gespalten werde.
Nötig sei ein »Labour Turn« in der Klimabewegung und ein »Climate Turn« in den Gewerkschaften, sagt Poettinger. Beim Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen wird im Anschluss besprochen, wie die Gruppe auf der Hauptdemo gegen die IAA am Samstag auftreten will. Ein »schwarzer Block« soll es nicht werden, sondern bunt und offen. Wer am Rand steht, soll sich spontan entscheiden können mitzulaufen.
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