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USA, China, Russland – und wir

Ursula von der Leyen spricht zur Lage der EU. Ganz offensichtlich fehlen ihr schlüssige Antworten auf die Problemfälle Europas. Eine Analyse

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, gestikuliert während ihrer Rede zur Lage der Union im Europäischen Parlament in Straßburg.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, gestikuliert während ihrer Rede zur Lage der Union im Europäischen Parlament in Straßburg.

Ursula von der Leyen ist polyglott. Bei wichtigen Reden wechselt die Präsidentin der EU-Kommission problemlos vom Englischen ins Französische und in ihre deutsche Muttersprache. Als sie am Mittwochmorgen vor dem EU-Parlament in Strasbourg ihre Rede zur Lage der Union hielt, wählte von der Leyen nur für wenige Sätze die deutsche Sprache. Ob bewusst oder unbewusst sendete die CDU-Politikerin somit das Zeichen, dass sie nicht als Vertreterin deutscher Interessen wahrgenommen werden will.

Von der Leyen spricht von sich selbst gerne als »überzeugte Europäerin«. Aber wer nimmt ihr das ab? Die EU-Kommissionspräsidentin wirkt immer wieder wie ein verlängerter Arm der Bundesregierung. Der Druck aus Berlin war etwa entscheidend dafür, dass sie einen Handelsdeal mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten auf den Weg gebracht hatte. Deutsche Auto- und Maschinenbauer hoffen dort auf Absatzmärkte und werden von der Bundesregierung unterstützt. Kritik an dem geplanten Freihandelsabkommen kommt hingegen aus Frankreich, wo Bauern die Konkurrenz von billiger produzierten Agrarprodukten aus Südamerika fürchten. Sie sollen durch Schutzklauseln in dem Vertrag beruhigt werden. Die nationalen Parlamente werden beim Ratifizierungsverfahren nur bedingt Mitsprache bekommen.

Vom Green Deal bleibt wenig

Von der Leyen betonte, dass Abkommen wie mit den Mercosur-Staaten »neue Märkte öffnen« und die Abhängigkeit der EU von anderen Mächten verringern würden. Mehr Unabhängigkeit will man von den USA, China und Russland erreichen. Die Beziehungen zu den USA haben sich seit Amtsantritt von Präsident Donald Trump wieder verschlechtert. Zuletzt schloss von der Leyen eine aus europäischer Sicht nicht ungünstige Handelsvereinbarung mit Trump ab: Während US-Importe zollfrei nach Europa gelangen, wird für die meisten EU-Exporte gen USA ein Zoll von 15 Prozent fällig.

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China gilt für die Europäer einerseits als Partner, aber auch als Konkurrent und systemischer Rivale. Russland hat sich seit dem Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 endgültig als offener Feind entpuppt. Doch nach wie vor benötigen die Europäer russisches Gas. Im ersten Halbjahr 2025 wurde Flüssiggas aus Russland im Wert von 4,48 Milliarden Euro importiert. Dagegen sind Kohle und Öl sanktioniert worden.

In den vergangenen Jahren hatte von der Leyen einen »Green Deal« angekündigt, der unter anderem die Steigerung der Energieeffizienz und die Förderung erneuerbarer Energien beinhaltet. Doch von ihren ökologischen Zielen ist nicht viel übrig geblieben. Künftig will die Kommissionspräsidentin verstärkt auch auf US-Flüssigerdgas setzen, um bald komplett auf russisches Gas verzichten zu können. Für mehr europäische Energiesouveränität setzt die Kommissionspräsidentin daneben auf die Förderung von Kernenergie. Kürzlich hatte sie neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien auch »mehr Atomkraft« gefordert.

Ein Traum von Geschlossenheit

Die Maßnahmen in der Wirtschafts- und Energiepolitik sollen dazu beitragen, dass die EU ihre Großmachtambitionen, welche sie mit mit ihren gigantischen Aufrüstungsprogrammen und der militärischen Unterstützung für die Ukraine unterstreicht, umsetzen kann. Doch im Unterschied zu ihren geopolitischen Konkurrenten ist die Europäischen Union oft behäbig, wenn wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen. Es gibt mehrere Machtzentren, die nicht selten unterschiedliche Interessen verfolgen, nämlich die politischen Parteien in den Parlamenten und die Regierungen der Nationalstaaten. Dies spiegelt sich auch in den Institutionen der EU wider. Von der Leyen bemühte in ihrer Rede Begriffe wie »Geschlossenheit«, »proeuropäische Mehrheit« und »gemeinsame Stärke«.

Tatsache ist aber, dass die Europäische Union in einer schweren Krise steckt. In der französischen Nationalversammlung gibt es auch nach der Ernennung von Sébastien Lecornu zum neuen Premierminister keine stabile Mehrheit für eine Regierung. Ebenso wie Deutschland ist Frankreich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Die beiden EU-Schwergewichte belasten damit die ganze Union.

Wirtschaftliche Krisen, Preisanstiege und politische Instabilität gehen mit Wahlerfolgen extrem rechter Parteien in vielen europäischen Mitgliedstaaten einher. Sie drängen darauf, Geflüchtete zu entrechten, bauen dort, wo sie an der Macht sind, staatliche Medien nach ihren Interessen um und unternehmen Versuche, die Justiz auf Linie der Regierung zu bringen. Von der Leyen ist kein Gegenpol zu dieser Entwicklung. Sie hat vielmehr Schritte unternommen, um extrem rechte Politiker und Parteien in ihre EU-Politik zu integrieren. Diese werden in der EU-Kommission von Olivér Várhelyi aus Ungarn und dem Italiener Raffaele Fitto vertreten. Die Werte, von denen von der Leyen in Strasbourg sprach, wie »Freiheit« und »Demokratie«, werden in der EU auch durch ihre Politik schrittweise ausgehöhlt.

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